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Vorfälligkeitsentschädigung – ein Dauerbrenner

NEWS 02/2024

Dieser Beitrag richtet den Blick auf aktuelle Entwicklungen im Thema Vorfälligkeitsentschädigung und greift Fragestellungen auf, die sowohl die Bankpraxis als auch die Rechtsprechung beschäftigen.

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Vorfälligkeitsentschädigung, NEWS 02/2024

Vorfälligkeitsentschädigung – ein Dauerthema

Die Vorfälligkeitsentschädigung wirft immer wieder neue Fragestellungen auf, die sowohl die Bankpraxis als auch die Rechtsprechung beschäftigen. Dieser Beitrag richtet den Blick auf aktuelle Entwicklungen.

Bearbeitungsentgelt

In der News 01/20231 hatten wir das Problem Kappung der Vorfälligkeitsentschädigung bei Wiederanlagezinsen, die den Kreditzins übersteigen, aufgegriffen. In diesem Fall kann die Restschuld den Ablösebetrag nach Kostenerstattung übersteigen. Der Kunde zahlt in diesem Fall aus juristischen Gründen immer den höheren der beiden Beträge. Für eine nachhaltige Verunsicherung in der Praxis sorgt in diesem Zusammenhang immer wieder das Bearbeitungsentgelt. Manche Institute machen es generell nicht mehr geltend, weil sie der Meinung sind, das Bearbeitungsentgelt sei von der BGH-Rechtsprechung zu Darlehensgebühren ebenfalls betroffen. Andere Institute fordern das Bearbeitungsentgelt auch im Kappungsfall generell vom Kunden ein.

Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Vorfälligkeitsentschädigung wie folgt aus den drei Komponenten zusammensetzt:2

Vorfälligkeitsentschädigung =
Bruttoschaden (vor Kostenerstattung)
–  Ersparte Risikokosten
–  Ersparte Verwaltungskosten
+ Bearbeitungsentgelt (Kosten der Abrechnung, Institutsaufwand)

Daraus folgt eindeutig, dass das Bearbeitungsentgelt Bestandteil der Schadensbetrachtung ist. Es kann also nicht isoliert werden, wenn es um die Kappung der Vorfälligkeitsentschädigung geht.

Dass das Bearbeitungsentgelt Bestandteil der Schadensbetrachtung ist, ergibt sich nach wie vor aus BGH XI ZR 27/00. Zitat (Seite 17–18): „Als weitere Schadensposition kann die Klägerin die Kosten geltend machen, die ihr durch die Berechnung der Nichtabnahmeentschädigung entstehen. Diese Kosten lassen sich kaum exakt beziffern und können daher gemäß § 287 ZPO geschätzt werden. Da der Berechnungsaufwand nicht entscheidend von der Höhe der Darlehenssumme abhängt, kann als Schadensersatz nicht ein bestimmter Prozentsatz des Darlehens verlangt werden (BGHZ 136, 161, 171). Vielmehr ist ein absoluter Betrag anzusetzen (OLG Hamm WM 1998, 1811, 1812 und WM 1998, 1812, 1813; OLG Schleswig WM 1998, 861, 865).“

Bestätigt wurde dies durch BGH XI ZR 356/20 vom 08.06.2021, Tz. 14: „(…) Der Begriff ‚Nichtabnahmeentschädigung‘ bezieht sich auf den Schadensersatzanspruch des Darlehensgebers gegen den Darlehensnehmer aus § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB wegen dessen Verletzung der Pflicht zur Abnahme des Darlehens (vgl. dazu Senatsurteile vom 12. März 1991 XI ZR 190/90, WM 1991, 760, 761 und vom 7. November 2000 XI ZR 27/00, BGHZ 146, 5, 8). Dieser Anspruch umfasst unter anderem auch die Kosten, die dem Darlehensgeber durch die Berechnung der Nichtabnahmeentschädigung entstehen (vgl. Senatsurteil vom 7. November 2000 XI ZR 27/00, aaO S. 17 […]).“

Gesamtergebnis: Das Bearbeitungsentgelt ist Be- standteil der Vorfälligkeitsentschädigung und bei der Kappung (Ablösebetrag kleiner Restschuld) innerhalb des Ablösebetrags zu berücksichtigen. Eine isolierte Addition zur Restschuld ist nicht sachgerecht und kann zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Bank führen.

Erstattung des Zinsmargenschadens? Konkrete Verwendung der Darlehensvaluta?

Verbraucherschützer hatten in der Vergangenheit häufig die Erstattung des Zinsmargenschadens kritisiert und abgelehnt (im banküblichen Aktiv-Passiv-Ver- gleich ist dieser automatisch inkludiert). Nunmehr hat der EuGH (14. März 2024 – C-536/22) bestätigt, dass dieser liquidierbar ist:

„(…) 2. Art. 25 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2014/17 ist da- hin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die im Hinblick auf die Entschädigung des Kreditgebers im Fall der vorzeitigen Rückzahlung eines Wohnimmobilien-Verbraucherkredits den entgangenen Gewinn des Kreditgebers, der diesem unmittelbar durch die vorzeitige Rückzahlung entsteht, und insbesondere den finanziellen Verlust, den dieser Kreditgeber gegebenenfalls im Zusammenhang mit den restlichen, nicht mehr anfallenden Vertragszinsen erleidet, berücksichtigt, sofern es sich um eine angemessene und objektive Entschädigung handelt, keine Vertragsstrafe gegen den Verbraucher verhängt wird und die Entschädigung diesen finanziellen Verlust nicht überschreitet.“

Bisweilen ist beim Aktiv-Passiv-Vergleich, ebenso beim unüblichen Aktiv-Aktiv-Vergleich gefordert worden, dass die Bank nachweisen müsse, wie sie die vorzeitig erhaltene Darlehensvaluta konkret verwendet. Wie seit vielen Jahren banküblich reicht das typisierende Abstellen auf die Wiederanlage in laufzeitkongruenten Hypothekenpfandbriefen aus. Das hatte der BGH (XI ZR 27/00) bereits so entschieden und auch hier hat der EuGH diese Rechtsauffassung bestätigt:

„3. Art. 25 Abs. 3 der Richtlinie 2014/17 ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten (…) dafür Sorge tragen müssen, dass die vom Kreditgeber vorgenommene Berechnung seines entgangenen Gewinns unter Berücksichtigung der pauschalen Rendite des vorzeitig zurückgezahlten Betrags dazu führt, dass die Entschädigung angemessen und objektiv ist und den finanziellen Verlust des Kreditgebers nicht übersteigt und dass keine Vertragsstrafe gegen den Verbraucher verhängt wird. Die Richtlinie 2014/17 verlangt nicht, dass bei dieser Berechnung berücksichtigt wird, in welcher Art der Kreditgeber den vorzeitig zurückgezahlten Betrag tatsächlich verwendet.“

Negative Wiederanlagezinsen?

In der Niedrigzinsphase trat häufig der Fall auf, dass die Wiederanlage in laufzeitkongruenten Hypothekenpfandbriefen nur zu negativen Zinssätzen möglich war. Der Schaden war deshalb höher als der Vertragszins. Aus Bankensicht war ein Schaden in Höhe der Differenz von Kundenzins zu negativem Wiederanlagezins zu konstatieren. Die Verbraucherschützer wollten hingegen den Schaden auf die vereinbarten Vertragszinsen begrenzen.

Beispiel: Restlaufzeit des Darlehens 1 Jahr; es stehe noch eine Kundenrate in einem Jahr aus: Restschuld 100.000 € plus 3 % Zinsen, insgesamt also 103.000 €. Der Wiederanlagezins sei –1 % (Alternative 1) beziehungsweise +4 % (Alternative 2).

Aus ökonomischer Sicht ist in beiden Fällen der Ablösebetrag als Barwert zu ermitteln. Es handelt sich jeweils um den fairen Ablösebetrag:

Alternative 1: 103.000/(1–0,01) = 104.040,40 €

Alternative 2: 103.000/(1+0,04) = 99.038,46 €

In Alternative 1 wäre es demnach nicht sachgerecht, den Ablösebetrag auf den Vertragszins, also auf 103.000 € zu begrenzen – die Bank würde einen Nachteil erleiden. Dies hat kürzlich der BGH XI ZR 159/23 am 12.03.2024 auch so entschieden – die Schadenberechnung mit negativen Wiederanlagesätzen ist korrekt:3

Tz 16: „Im Ausgangspunkt noch zutreffend hat das Berufungsgericht die Rendite einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen, die der Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank entnommen werden kann, herangezogen (…). Die Statistik der Deutschen Bundesbank liefert auf der Grundlage tatsächlich durchgeführter Wertpapiergeschäfte ein hinreichend repräsentatives Bild der Rückkaufrenditen von Pfandbriefen, die gerade von Hypothekenbanken erzielbar sind (Senatsurteil vom 30. November 2004, aaO, BGHZ 161, 196, 203). Wird dort der Markt mit einem negativen Wiederanlagezins abgebildet, bedeutet dies, dass die Bank mit dem vorzeitig zurückgeführten Darlehensbetrag bei einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen nicht nur keine Vorteile erwirtschaften kann, sondern einen Schaden erleidet (vgl. Ausführungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht im Abschlussbericht der Arbeits- gruppe Vorfälligkeitsentschädigung vom 18. September 2018, S. 99).“

Folglich sind auch negative Renditen bei der Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung nach § 490 Abs. 2 S. 3 BGB heranzuziehen.

In der Alternative 2 bleibt es aus ökonomischer Sicht richtig – Stichwort Symmetriegebot –, dass der Ablösebetrag eingefordert wird und nicht die höhere Restschuld, die aus juristischer Sicht in diesen Fällen geltend gemacht wird. Im Beispiel erzielt die Bank deshalb aus ökonomischer Sicht einen Vorteil in Höhe von 100.000 € – 99.038,46 € gemessen an der fairen Abrechnung.

Fazit

Das Bearbeitungsentgelt ist Schadensbestandteil und muss deshalb auch im „Kappungsfall“ als Bestandteil des Ablösebetrags behandelt werden, um im Vergleich zur Restschuld zu einem sachgerechten Ergebnis zu kommen. Der Zinsmargenschaden ist Schadensbestandteil des Aktiv-Passiv-Vergleichs und auch nach der Rechtsauffassung des EuGH liquidierbar. Negative Wiederanlagerenditen dürfen bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung nach der neuesten BGH-Rechtsprechung berücksichtigt werden.

Quelle und weiterführende Hinweise
  • 1. Siehe NEWS 01/2023 auf Banking.Vision
  • 2. Darstellung in Rösler/Wimmer/Lang, Vorzeitige Beendigung von Darlehensverträgen, 2. Aufl. 2021 Textziffern 725, 733, 735.
  • 3. So bereits Rösler/Wimmer, NJW 2021, 1194, 1196. Ausführlich zur BGH-Entscheidung siehe Rösler, in: EWiR (im Druck); Leitsatz: „In einem negativen Zinsumfeld sind auch negative Renditen bei der Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung nach § 490 Abs. 2 S. 3 BGB heranzuziehen, da nur so der Schaden der Bank korrekt abgebildet wird.“
Konrad Wimmer

Prof. Dr. Konrad Wimmer

ist promovierter Diplom-Kaufmann und bei msg for banking für die strategische Themenentwicklung verantwortlich. Sein Fokus liegt auf den Themen Sustainable Finance, Bankcontrolling, Finanzmathematik, Geschäftsfeldsteuerung, wertorientierte Vertriebssteuerung und Risikomanagement. Er berät Banken zu diesen Themen und ist erfahrener Referent und Autor.

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