Fachartikel

Rekalibrierung der IRRBB-Zinsschocks

Am 12. Dezember 2023 hat der Baseler Ausschuss die Rekalibrierung der IRRBB-Zinsschocks zur Konsultation gestellt. Dieser Artikel beschäftigt sich sowohl mit den vorgeschlagenen methodischen Anpassungen als auch mit möglichen Auswirkungen einer Rekalibrierung.

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Rekalibrierung der IRRBB- Zinsschocks, NEWS 01/2024

Abstract

Der vorliegende Artikel beschreibt die vom Baseler Ausschuss am 12. Dezember 2023 zur Konsultation gestellte Rekalibrierung der IRRBB-Zinsschocks. Er beschäftigt sich sowohl mit den vorgeschlagenen methodischen Anpassungen als auch mit möglichen Auswirkungen einer Rekalibrierung.

Ausgangssituation

Der Baseler Ausschuss hat im April 2016 eine damals grundlegend überarbeitete Fassung seiner IRRBB- Leitlinien veröffentlicht.1 Dieses Dokument enthielt erstmalig die Definition und Kalibrierung von sechs währungsabhängigen Zinsschockszenarien.

Diese von der Aufsicht standardisierten Szenarien bilden für die 21 weltweit wichtigsten Währungen so- wohl Parallelverschiebungen als auch Verdrehungen der Zinskurve ab. Sie wurden in den Folgejahren weltweit von vielen Regulierungsinstanzen in die Anforderungen zur Messung des Zinsänderungsrisikos im Anlagebuch (IRRBB) übernommen, so auch von der EBA und allen nationalen Aufsichtsgremien in der EU. Die EBA hat die Baseler Vorgaben um Parameter für sieben weitere europäische Währungen ergänzt.

Alle Banken in der EU müssen für die wesentlichen Währungen in ihrem Anlagebuch regelmäßig die Auswirkungen dieser Szenarien auf ihre Zinsrisikopositionen berechnen. Sie müssen mit dem neuen IRRBB-Meldewesen vierteljährlich die Ergebnisse der Risikosimulationen für alle sechs Szenarien in der ökonomischen Perspektive2 und für die beiden Parallelszenarien in der ertragsorientierten Perspektive3 an die Aufsicht melden.

Zinsschock-Parameter

Die sechs IRRBB-Zinsszenarien ergeben sich je Währung aus den drei Parametern „parallel“, „short rate“ und „long rate“, mit denen auf Basis von einfachen vorgegebenen Formeln die Zinsszenarien „parallel shock up“, „parallel shock down“, „steepener shock“, „flattener shock“, „short rates shock up“ und „short rates shock down“ für alle Laufzeiten einer Zinskurve berechnet werden können.

Diese drei Parameter wurden vom Baseler Ausschuss je Währung aus einer Zinshistorie der 16 Jahre von Anfang 2000 bis Ende 2015 hergeleitet. Der Baseler Ausschuss hat bereits 2016 betont, dass er die IRRBB-Szenarien regelmäßig überprüfen würde.

Methodische Anpassungen

Für die erstmalige Rekalibrierung der IRRBB-Szenarien hat der Baseler Ausschuss im Dezember 2023 ein Konsultationspapier4 veröffentlicht, in dem er eine geänderte Methode zur Berechnung der Parameter für die Zinsszenarien vorschlägt. Diese vorgeschlagenen Änderungen beziehen sich im Wesentlichen auf vier Aspekte:

  1. Die betrachtete Zeitreihe wurde von 16 auf 23 Jahre verlängert und umfasst jetzt den Zeitraum von Anfang 2000 bis Ende 2022.
  2. Die Parameter werden auf Basis absoluter Zinsänderungen ermittelt und nicht mehr auf Basis relativer Zinsänderungen.
  3. Sie werden aus einem 99,9-%-Quantil abgeleitet und nicht mehr aus einem 99,0-%-Quantil.
  4. Die errechneten Schockparameter werden für jede Währung individuell angewendet, während sie bis- her in globale währungsübergreifende Faktoren umgerechnet wurden.5

Die neue Methodik lässt sich wie folgt skizzieren:

  • Auf der verlängerten Zinshistorie mit täglichen Zinssätzen vom 3. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2022 werden für neun Laufzeiten6 für jede betrachtete Währung die absoluten Zinsänderungen berechnet, die über einen Zeitraum von sechs Monaten (125 Handelstagen) zu beobachten sind.
  • Diese auf täglicher Basis über ein wanderndes Sechs-Monats-Zeitfenster beobachteten Zinsänderungen werden für „short rate“ über die Laufzeiten 3 Monate, 6 Monate und 1 Jahr gemittelt, für „long rate“ über die Laufzeiten 10 Jahre, 15 Jahre und 20 Jahre und für „parallel“ über alle betrachteten neun Laufzeiten.
  • Im nächsten Schritt werden für die resultierenden drei Zeitreihen jeweils die Absolutbeträge gebildet und dann die 99,9-%-Quantile berechnet.
  • Auf die Ergebnisse wird ein Floor von 100 BP (Basispunkten) und ein Cap von 400 BP für „parallel“, 500 BP für „short rate“ und 300 BP für „long rate“ angewendet.
  • Schließlich werden die resultierenden Werte auf das nächste Vielfache von 50 BP gerundet.

Wesentliche Merkmale der neuen Methodik sind die Länge der betrachteten Zinshistorie seit Anfang 2000, die Verwendung absoluter Zinsänderungen auf einem wandernden Sechs-Monats-Zeitfenster und das 99,9-%-Quantil zum Ableiten der Risikoparameter.

Das Vorgehen des Baseler Ausschusses bei der Kalibrierung der IRRBB-Zinsschocks könnte auch als Vorbild für hauseigene Risikomessverfahren dienen oder als Argumentationshilfe in der jährlichen Parametervalidierung.

Ergebnisse der Rekalibrierung

Die neu kalibrierten Parameter verschlechtern sich in gut 40 Prozent der 63 betrachteten Fälle gegenüber den bisherigen Parametern.

Euro nach Rekalibrierung, Zinsschock, NEWS 01/2024

So ergibt sich für den Euro durch die Rekalibrierung eine Erhöhung in allen drei Fällen:

Mit den neuen Parametern werden die Parallelverschiebungen für den Euro kräftiger, die kurzen Ausschläge bei den Short-Rate-Schocks größer und die Verdrehungen beim Steepener- und Flattener-Schock stärker.

USD nach Rekalibrierung, Zinsschock, NEWS 01/2024

Eine Erhöhung in allen drei Fällen resultiert auch für das britische Pfund und den Schweizer Franken. Der US-Dollar verändert sich hingegen kaum:

Die Detailanalyse der EBA zeigt, dass die Effekte sowohl aus der geänderten Berechnungsweise als auch aus der Verlängerung der Zinshistorie resultieren.

IRRBB_Abbildung

Fazit und Ausblick

Die Rekalibrierung der IRRBB-Zinsschocks, insbesondere die Verlängerung der Zinshistorie und die Anpassung der Methodik, waren vor dem Hintergrund der signifikanten Zinsentwicklungen seit Ende 2015 überfällig. Mit seinem Konsultationspapier hat der Baseler Ausschuss einen zeitgemäßen Vorschlag für einen überarbeiteten Standard veröffentlicht. Es ist zu erwarten, dass dieser Vorschlag nach der Konsultation nur noch geringfügige Modifikationen erhält.8

Die rekalibrierten Zinsschocks werden in den nächsten Jahren weltweit die bisherigen IRRBB-Zinsschocks ablösen. Deshalb ist eine frühzeitige und regelmäßige Simulation ihrer Auswirkungen auf die Risikokennzahlen, insbesondere die IRRBB-Ausreißerkriterien, zu empfehlen. Vor allem die beiden neu kalibrierten Parallelverschiebungen bilden die Zinsrisikosituation je Währungsraum realistischer ab als die bisherigen.

Quellen und weiterführende Hinweise
Rainer Alfes

Rainer Alfes

ist Diplom-Mathematiker und bei msg for banking spezialisiert auf Asset-Liability-Management sowie Steuerung der Marktpreis- und Liquiditätsrisiken. Als Executive Business Consultant berät er zu produktstrategischen Themen, hat langjährige Erfahrung in der Konzeption von Risikomanagementsystemen und der Abbildung von Treasuryprozessen, ist Autor von Fachartikeln sowie erfahrener Referent.

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