Auswirkungen des NSFR auf die Banksteuerung
Welche Auswirkungen hat die seit Mitte 2021 geltende aufsichtliche Vorgabe einer Mindestquote von 100 Prozent für die Net Stable Funding Ratio (NSFR) auf die Banksteuerung?
Abstract
Welche Auswirkungen hat die seit Mitte 2021 geltende aufsichtliche Vorgabe einer Mindestquote von 100 Prozent für die Net Stable Funding Ratio (NSFR) auf die Banksteuerung?
Nach Auffassung der Autoren sollte die regelmäßige Meldung der NSFR an die Bankenaufsicht um einen geeigneten Forecast ergänzt werden, der die Entwicklung der strukturellen Liquidität für die nächsten Perioden abschätzt. Für das Treasury und das Asset-Liability- Management (ALM) müssen sinnvolle Instrumentarien für eine Aussteuerung der NSFR gefunden werden. Vor dem Hintergrund der Anforderungen aus ILAAP und MaRisk müssen die Institute zudem geeignete Szenarien simulieren, um frühzeitig Handlungsbedarf aufzuzeigen und Vorschläge für Maßnahmen zu entwickeln. Am Ende muss jedes Institut einen effizienten Weg finden, um die Meldeanforderungen zu erfüllen und die strukturelle Liquiditätsposition, insbesondere die Fristentransformation der Liquidität, zu steuern.
NSFR – Regulatorischer Hintergrund
Die Bankenaufsicht hat zusammen mit den gesetzgebenden Institutionen als Konsequenz aus der Finanzkrise national und international verschiedene Regularien in Form von Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien und Mindestanforderungen beschlossen und sukzessive umgesetzt.
Dies trifft gerade auch für die Kategorie der Liquiditätsrisiken zu, da in der Krise verschiedene Herausforderungen für die Zahlungsfähigkeit der Institute deutlich wurden. In Europa bilden die Anforderungen an bankinterne Prozesse zur Sicherstellung einer angemessenen Liquiditätsausstattung (ILAAP) für Kreditinstitute ein verbindliches Rahmenwerk.
Delegierte Verordnungen und Rundschreiben konkretisieren die Vorgaben. Zudem hat die BaFin im August 2021 die 6. Novelle der Mindestanforderungen für das Risikomanagement (MaRisk) in Deutschland veröffentlicht.
Abbildung 1: Grundlogik der LCR
Im ILAAP und darauf aufbauend in den MaRisk ist eines der zentralen Merkmale die Dualität der Sichten auf die Liquidität: die normative und die ökonomische Sicht.1 Als eine der wichtigen neuen normativen Liquiditätskennzahlen führte die Bankenaufsicht in den vergangenen Jahren sukzessive die Liquiditätsdeckungsquote Liquidity Coverage Ratio (LCR) ein:
Die LCR dient als Maß für die kurzfristige Zahlungsfähigkeit mit einem Horizont von 30 Tagen. Institute müssen die LCR bereits seit Anfang 2018 täglich mit einer Quote von mindestens 100 Prozent einhalten und in der Regel monatlich melden. Die BaFin führt hierzu aus: „Die LCR soll sicherstellen, dass die Institute einen ausreichenden Liquiditätspuffer vorhalten, um ein aus institutsindividuellen und systemischen Stress kombinierten Szenario 30 Tage lang zu überleben.“2 Diese Kennzahl ist daher von großer Bedeutung in der Banksteuerung, sowohl im internen Risikomanagement als auch im externen Meldewesen.
Abbildung 2: Grundlogik der NSFR
Als weitere wichtige, neue normative Liquiditätskennzahl wurde die strukturelle und somit langfristige Liquiditätsquote NSFR (Net Stable Funding Ratio) eingeführt:
Die NSFR stellt mit einem Betrachtungshorizont von einem Jahr die verfügbare stabile Refinanzierung (Available Stable Funding [ASF]) der erforderlichen stabilen Refinanzierung (Required Stable Funding [RSF]) eines Instituts gegenüber. Wie die LCR betrachtet auch die NSFR einen moderaten Stressfall. Die Kennzahl soll die Fristentransformation in der Refinanzierung mit Fokus auf ein Jahr begrenzen und sicherstellen, dass Institute ihre langfristigen Forderungen in aus- reichender Weise mit langfristigen Refinanzierungen abgesichert haben. Die BaFin führt hierzu aus: „Mit der NSFR wird sichergestellt, dass die Institute über einen angemessenen Anteil an stabiler Refinanzierung verfügen. Damit wird übermäßige Fristentransformation und insbesondere eine stressanfällige Abhängigkeit von kurzfristigem Wholesale-Funding verhindert, was sich als ein wesentliches Problem in der Finanzkrise erwiesen hat.“3
Um die NSFR wie die LCR jederzeit einhalten zu können, muss ein Institut in der Lage sein, diese beiden Kennziffern vorausschauend zu simulieren und zu steuern. Die Institute müssen seit der Umsetzung der relevanten Teile der CRR II über das EU-Bankenpaket seit Ende Juni 2021 auch für die NSFR eine Quote von mindestens 100 Prozent einhalten, sodass die NSFR und die LCR zentrale normative Kennzahlen für das Liquiditätsrisikomanagement und das Meldewesen darstellen.
Im Zuge der Kalibrierung und der Umsetzung zum Ende Juni 2021 wurden die Meldebögen entsprechend angepasst. Zudem wird nun zwischen einer vollumfänglichen (Full) NSFR und einer vereinfachten (Simplified) NSFR (sNSFR) unterschieden. Durch die sNSFR möchte die Aufsicht eine Erleichterung für kleine, nicht komplexe Institute schaffen. Um die sNSFR nutzen zu können, müssen deutsche Institute einen Antrag zur Qualifizierung als kleines und nicht komplexes Institut bei der BaFin stellen.4
Abbildung 3: Datenanforderungen NSFR und sNSFR
Abbildung 3 benennt die jeweiligen Meldeformulare und gibt eine Einschätzung bezogen auf die Datenanforderungen.5
In der Vorgehensweise werden sowohl die ASF als auch die RSF als Produkt aus den jeweiligen Positionen (Amount) und den seitens der Aufsicht festgelegten Anrechnungsfaktoren gebildet. Positionen auf der Aktivseite mit kürzeren Restlaufzeiten erhalten niedrigere RSF-Anrechnungsfaktoren als Positionen mit längeren Restlaufzeiten. Positionen auf der Passivseite mit längeren Refinanzierungslaufzeiten erhalten in Analogie höhere ASF-Anrechnungsfaktoren als Positionen mit kürzeren Refinanzierungslaufzeiten.
Das aktuelle Template (.xls-Datei) kann von der Homepage der European Banking Authority (EBA) geladen werden.6 Auf diesem finden sich die entsprechenden Tabellenblätter C 80.00, C 81.00, C 82.00 und C 83.00 sowie C 84.00. Letzteres in zwei Varianten: NSFR und sNSFR (siehe auch Abbildung 3).
Herausforderung für die Bankplanung und Vorschaurechnung
Die NSFR ist mit ihrem Betrachtungshorizont von einem Jahr und ihrem Fokus auf stabiler Refinanzierung weniger volatil als die LCR, die die Zahlungsfähigkeit eines Instituts auf Basis von Liquiditätsbewegungen und vorhandenen liquiden Mitteln mit einem kürzeren Betrachtungshorizont von 30 Tagen darstellt.
Im Gegenzug ist die NSFR auch träger in der Steuerung: Während Institute ihre LCR durch Aufnahme von Liquidität etwa über Linien und Offenmarktgeschäfte bei Bedarf schnell erhöhen können, besteht diese Möglichkeit bei der NSFR nicht. Institute können weder ihre Aktiva, die eine stabile Refinanzierung erfordern, schnell abbauen, noch können sie ihre etablierten Refinanzierungsquellen kurzfristig umstellen.
Wichtig ist deshalb eine vorausschauende Steuerung der NSFR auf Basis einer soliden Planung und Vorschaurechnung. Die Planung muss die Entwicklung der Aktivseite sowohl bezogen auf die erwarteten Volumina als auch bezogen auf die erwarteten Laufzeiten je Produkt und Kundensegment umfassen. Zudem muss sie die Refinanzierung des Aktivgeschäfts möglichst detailliert abbilden.
Mit diesen Voraussetzungen kann das Institut eine verlässliche Vorschau der NSFR-Entwicklung über die nächsten Wochen und Monate simulieren. Dafür ist es erforderlich, dass in der Vorschau die NSFR-Gewichtungsfaktoren aus dem Meldewesen für das auslaufende Bestandsgeschäft – nach Möglichkeit auf Ebene der Einzelpositionen – zur Verfügung stehen.
Für die Planpositionen des Neugeschäfts sollten die Gewichtungsfaktoren per Default so ermittelt werden, dass sie dem volumengewichteten Mittel der Gewichtungsfaktoren des Bestandsgeschäfts entsprechen, auf das eine Planposition aufsetzt. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass eine konstante Bestandsfortschreibung für eine Planposition in der NSFR-Vorschau auch zu einer weitgehend konstanten NSFR-Anrechnung führt, wenn die Fälligkeiten im Bestandsgeschäft einigermaßen gleichmäßig verteilt sind.
Erfüllen die Planung und die Vorschaurechnung diese Qualitätsanforderung, sind Verfeinerungen der NSFR- Vorschau denkbar, indem die Restlaufzeiten der Positionen des Bestands- und des geplanten Neugeschäfts detaillierter berücksichtigt werden sowie gegebenenfalls weitere Attribute des Neugeschäfts, die für die NSFR-Einstufung wesentlich sind.
Mit einer derart feinen und sensitiven NSFR-Vorschaurechnung, wie sie beispielsweise im Liquiditätscockpit der Banksteuerungslösung von msg GillardonBSM umgesetzt ist, steht einem Institut ein mächtiges Werkzeug für die Simulation von Szenarien und Maßnahmen zur Verfügung.
Damit lassen sich die Auswirkungen von Verschiebungen in der Bilanzstruktur ebenso simulieren wie die Effekte aus neuen Produkten oder eine veränderte Gewichtung der Refinanzierungsquellen. Somit wird den aufsichtlichen Anforderungen an Szenarioanalysen wie national MaRisk oder international ILAAP adäquat Rechnung getragen. Stresssituationen und deren potenzielle Auswirkungen auf Kennziffern der Unternehmensplanung und des Risikocontrollings können ex ante simuliert und auf Basis der Ergebnisse gesteuert werden.
Ein internes Limitsystem könnte zum Beispiel in einer Ampellogik bestehen, sodass eine Mindest-NSFR den darunterliegenden roten Bereich begrenzt und der grüne Bereich oberhalb der angestrebten NSFR liegt – dazwischen wäre klassisch der gelbe Bereich. Sollte die NSFR in der Vorschau aus dem grünen in den gelben Bereich abrutschen, muss das Liquiditätsmanagement frühzeitig die Auswirkung von Maßnahmen simulieren können, da deren Umsetzung einen längeren Vorlauf benötigt als die Umsetzung von LCR-Maßnahmen.
Die Simulation der NSFR-Vorschau über einen Zeitraum von 21 Monaten zeigt in dem folgenden, bewusst plakativen Beispiel die Verbesserung der strukturellen Liquiditätsquote NSFR, wenn auf der Passivseite kurzfristige Geldmarktrefinanzierungen durch stabile Pfandbriefemissionen ersetzt werden.
Abbildung 4: Die hellblaue Kurve zeigt den Verlauf der NSFR über einen Zeitraum von 21 Monaten in der Ausgangssituation
Abbildung 5: Die hellblaue Kurve zeigt den Verlauf der NSFR nach Erhöhung des Pfandbriefvolumens um 500 Mio. Euro
Die beiden Screenshots der Komponente „NSFR-Forecast“ von msg GillardonBSM weisen den Effekt einer Erhöhung des Pfandbriefvolumens zum Stichtag April 2021 in Höhe von 500 Mio. Euro aus. Die Planung der Aktivseite ist in beiden Darstellungen identisch. Die Verbesserung der stabilen Refinanzierung führt in diesem Beispiel zu einer Erhöhung des ASF bei unverändertem RSF und damit zu einer Verbesserung der NSFR über den gesamten betrachteten Zeitraum.
Auswirkung auf die Transferpreise
Die unterschiedlichen Kosten der Refinanzierungsquellen – zu denen im Beispiel von Pfandbriefen neben den Liquiditätsspreads der Emission auch die Kosten des Pfandbriefprozesses zählen – sollten den Aktivprodukten verursachungsgerecht als Liquiditätsbeiträge zugerechnet werden. Nur ein konsequentes Funds Transfer Pricing (FTP) ermöglicht die adäquate Berechnung der Nettomargen und ihre Zuordnung an die betroffenen Vertriebseinheiten.
Die hier vorgestellte Lösung für eine Ergebnisvorschaurechnung auf Basis einer detaillierten Neugeschäftsplanung und unter Berücksichtigung der NSFR-Faktoren aus dem Meldewesen ermöglicht eine ebenso pragmatische wie wirkungsvolle Erweiterung des Transferpricings um die NSFR-Kosten, indem diese in Liquiditätsspreads übersetzt werden. Ein Institut kann die Feinheit dieses Ansatzes steuern, indem es die Liquiditätsspreads für die einzelnen Bankprodukte und gegebenenfalls abhängig von weiteren Attributen variiert.
Der Vorteil dieses Ansatzes besteht in der verursachungsgerechten und nachvollziehbaren Bepreisung der Aktivpositionen mit ihren regulatorischen NSFR-Kosten. Die von den NSFR-Kosten induzierten Spreadaufschläge lassen sich von den Liquiditätsspreads einer NSFR-neutralen Refinanzierung, also den klassischen Liquiditätskosten, trennen. Dadurch können Institute in einem Deckungsbeitragsschema die Kosten aus Maßnahmen zur Einhaltung einer hinreichenden Quote separat ausweisen und den Einzelgeschäften zuordnen.
Der hier skizzierte spreadbasierte Ansatz zur Berücksichtigung der NSFR-Kosten ist konsistent zu anderen Bewertungsansätzen, insbesondere zur Berücksichtigung der regulatorischen Eigenkapitalkosten im Transfer Pricing der Einzelgeschäfte.
Auf diese Weise kann ein Institut beispielsweise einem Unternehmenskredit mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr geringere NSFR-Kosten belasten als einem Darlehen an einen Finanzkunden mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr, weil der Unternehmenskredit einen geringeren RSF-Wert hat.
Herausforderung für die Banksteuerung (ALM)
Wie in den vorherigen Ausführungen dargestellt, handelt es sich bei der NSFR im Gegensatz zur LCR um eine weniger volatile Kennzahl, die allein schon aus diesem Grund einer stärker strategischen Aussteuerung bedarf. Im Mittelpunkt sollten bilanzstrukturelle Überlegungen stehen, die mittel- bis langfristig ihre Wirkung entfalten, und weniger auf kurze Sicht angelegte Maßnahmen mit stärker operativem Charakter.
Um die NSFR langfristig zu steuern, sind strategische Rahmenbedingungen ganzheitlich zu definieren und entsprechende Wirkungsmechanismen in der Produktstrategie, der Kalkulation beziehungsweise dem Pricing sowie der Auswahl an Refinanzierungsmitteln und Anlagen im Depot A zu berücksichtigen.
Dabei sind die Auswirkungen unterschiedlich, je nach- dem, welche Art NSFR ein Institut verwendet: Je nach Erfüllungsgrad können die prozessualen Vorteile der sNSFR oder die günstigeren Anrechnungsfaktoren für die benötigte stabile Refinanzierung unter Inkaufnahme höherer Meldeanforderungen der NSFR einen Vorteil bringen.7
Zur strategischen Steuerung können Institute den Zähler oder den Nenner der Kennzahl beeinflussen:
- Ausbau der langfristigen Refinanzierungsmittel
- Abbau des langfristigen Refinanzierungsbedarfs
Die NSFR lässt sich durch eine Vielzahl ganz unterschiedlicher strategischer Maßnahmen beeinflussen: beispielsweise durch die aktuell angebotenen gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte der Notenbanken, durch eine strategische Optimierung des Produktangebots im Kundengeschäft oder auch durch eine Erhöhung der Datenqualität, zum Beispiel durch eine bessere Verschlüsselung von Krediten, um den KMU-Faktor zu nutzen.
Für die Steuerung anderer Risikoarten, wie des Zinsänderungs- oder des Währungsrisikos, bieten sich derivative Finanzinstrumente an, die in der Regel über hoch liquide Märkte standardisiert und kostengünstig, aber trotzdem hinreichend passgenau verfügbar sind.
Solche Möglichkeiten sind bei den Liquiditätsrisiken bisher nicht gegeben: Es existiert kein geeignetes Produktangebot. Die in der Praxis vorhandenen, handelbaren Derivate zeichnen sich vielmehr durch ihre geringe Liquiditätswirkung aus.8
Um günstige stabile Refinanzierungsquellen zu erschließen, bietet es sich an, pfandbrieffähige Aktiva zu betrachten und ein strategisches Collateral Management aufzubauen. Durch das starke Wachstum vieler Institute im Bereich von wohnwirtschaftlichen Finanzierungen hat das ungenutzte Material zur Unterlegung von Hypothekenpfandbriefen deutlich zugenommen. Neben einem Einsatz zur Erhöhung der NSFR bieten Hypothekenpfandbriefe eine Reihe weiterer Vorteile, unter anderem die Möglichkeit nachhaltiger Emissionen.9
Öffentliche Pfandbriefe eignen sich hingegen nicht für die Steuerung der NSFR, da der Vorteil der Anrechnung stabiler Refinanzierungsmittel mit der Verschlechterung der Unterlegungsquote von öffentlichen Anleihen einhergeht und damit keine Verbesserung der Kennzahl erreicht werden kann, anders als bei Hypothekenpfandbriefen, deren Anrechnung die Verschlechterung der Unterlegungsquote der belasteten Aktiva überkompensiert.10
In der strategischen Bewertung einzelner Produktangebote ist die Auswirkung auf die NSFR zu berücksichtigen. Institute sollten zum Beispiel ihre Produktstrategie aus Liquiditätssicht dahin gehend überprüfen, ob sie längerfristige Kündigungsgelder im Kundengeschäft anbieten. Diese können als Alternativprodukte zu Einlagen mit Verwahrentgelt gesehen werden, wirken sich aber bei entsprechender Ausgestaltung günstiger auf die NSFR aus.
Die beispielhafte Aufzählung zeigt, wie facettenreich die strategischen Steuerungsmöglichkeiten sind. Dabei sind die institutsindividuellen Voraussetzungen und Besonderheiten zu berücksichtigen.
Trotz der grundsätzlich mittel- bis langfristigen Ausrichtung muss das Treasury im Notfall Sofortmaßnahmen in der operativen Steuerung ergreifen, um die Quote von mindestens 100 Prozent einzuhalten und aufsichtliche Konsequenzen zu verhindern. Es kann zwar grundsätzlich beide Seiten der NSFR, den Zähler und den Nenner, beeinflussen. Eine kurzfristige Beschaffung von stabiler Refinanzierung ist jedoch einfacher darstellbar als eine kurzfristige Reduzierung von Aktiva, die einer langfristigen Refinanzierung bedürfen.
Die Niedrigzinsphase führt dazu, dass viele Institute über ausreichende Liquidität in Form von kurzfristigen Kundeneinlagen, insbesondere Sichteinlagen, verfügen, die nicht vollständig in der NSFR als stabile Refinanzierung angerechnet werden dürfen.
Als mögliche Treasurymaßnahme eignet sich insbesondere die bereits erwähnte Aufnahme langfristiger Refinanzierungsmittel über die Notenbank oder auch flexibel, allerdings zu höheren Kosten, am Interbankenmarkt.
Das bedeutet zusammengenommen, dass im Einlagengeschäft kaum noch Margen verdient werden und zusätzlich die NSFR-Einhaltung die Refinanzierungs- kosten erhöht. Die strategische Preisgestaltung bei Aktivprodukten muss diesen Aspekt über ein Transfer Pricing stärker als bisher berücksichtigen, wie wir oben bereits beschrieben haben.
An dieser Stelle ist auf den Aspekt einer möglicher- weise notwendigen „Übersicherung“ der langfristigen Aktiva durch höhere Bestände an langfristigen Refinanzierungsmitteln hinzuweisen. Durch unterschiedliche Anrechnungsfaktoren der einzelnen Aktiva, aber auch der Refinanzierungsmittel kann eine von der bisherigen Produkt- und Refinanzierungsstrategie abweichende Vorgehensweise notwendig werden.11
Wegen der beschriebenen Trägheit der NSFR sind künftige Herausforderungen durch zurückgehende Bestände an geeigneten Refinanzierungsinstrumenten in der eigenen Bilanz frühzeitig zu antizipieren. Kreditinstitute sollten sich vorausschauend mit den einzelnen Aspekten einer ganzheitlichen Steuerung auseinandersetzen. Eine rollierende und nachhaltige Emissionstätigkeit ermöglicht eine Stetigkeit in der Liquiditätsversorgung und führt bei Pflege der Kunden und Partner an den Märkten zu einer erhöhten Sicherheit in ökonomischer und regulatorischer Hinsicht.
Eine der Proportionalität angemessene Planung in der Unternehmenssteuerung sollte Forecasts nicht nur für den Normalfall von granular bis aggregiert, über kurz-, mittel- und langfristige Sichten ermöglichen, sondern wie oben beschrieben auch mit Szenarien unterlegte Hochrechnungen simulativ darstellen können. Neben der Auswirkung von Treasurymaßnahmen muss die NSFR-Vorschau auch eine Änderung der Produktstrategie simulieren können.
Die gesamte Refinanzierungsthematik mit Einhaltung der normativen Kennzahlen LCR und NSFR muss in den Strategieprozess des Instituts integriert sein. Auf Basis der verabschiedeten Strategie erfolgt im Anschluss die Operationalisierung durch Ziele und darauf aufbauende Maßnahmen in der Umsetzung.
Kritische Würdigung und Ausblick
Zunehmend rückt über die reine Erfüllung der formalen Meldeanforderungen hinaus die Integration der Liquiditätskennzahlen NSFR und LCR als strenge Nebenbedingung der normativen Sicht in den Fokus der Steuerung in Kreditinstituten. Am Beispiel dieser Kennzahlen wird deutlich, wie Meldewesen und Controlling durch auf- sichtliche Anforderungen stärker zusammenwachsen und dass diese Zusammenhänge in der Steuerung zu berücksichtigen sind.
Ausgangsbasis muss immer die korrekte Meldung sein. Im nachfolgenden Prozess verknüpft sich die klassische Bankplanung mit den Meldekennzahlen und bietet Forecasts nicht nur tradierter Kennzahlen, sondern auch solcher Nebenbedingungen wie der prospektiven Erfüllung der NSFR. Simulationen von alternativen und Stressszenarien erfüllen die Anforderungen im Risikocontrolling aus interner wie auch aufsichtlicher Sicht.
Die Kür besteht in der Aussteuerung einer normativen Nebenbedingung wie der NSFR auf Planungshorizonte. Hier ist eine frühzeitige und vorausschauende Ableitung von mittel- bis langfristigen Handlungssträngen entscheidend, da die NSFR träge und nicht auf kurze Sicht ausgelegt ist sowie sich nicht über Derivate steuern lässt.
Die Antwort auf die spannende Frage, inwieweit eine Integration der regulatorischen NSFR-Kosten in ein FTP geboten ist, wird sich in der Zukunft zeigen.
Quellen
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1. Vgl. ILAAP, EZB 11/2018, S. 21.
-
2. Liquiditätsanforderungen, BaFin, 07.09.2021
-
3. Liquiditätsanforderungen, BaFin, 07.09.2021
-
4. BaFin: Qualifizierung als kleines und nicht komplexes Institut, Antrag zur Nutzung der sNSFR, 25.11.2020
-
5. NSFR – Mindestanforderung zur stabilen Refinanzierung, Christoph Friedrich, Normen Rhode, BI BankInformation, 02/21, S. 67
-
6. Implementing Technical Standards on supervisory reporting changes related to CRR2 and Backstop Regulation
-
7. Hierbei ist zu beachten, dass Institute nur bei Einhaltung bestimmter Größenkriterien von diesem Wahlrecht Gebrauch machen können.
-
8. Siehe: Fristentransformation mit dem Gleichgewichtsmodell, Kevin Schmidtko (2019), in die Bank 05/2019
-
9. Für eine Darstellung der Vorteile und des Vorgehens eines strategischen Collateral Managements siehe auch: Collateral Management – Der mögliche Weg zum Pfandbriefinstitut, Simon Feyen (2021)
-
10. Vgl. hierzu auch: Frühzeitig individuelles NSFR-Gesamtkonzept ausarbeiten, Kuhlmey/Unger (2018), Betriebswirtschaftliche Blätter, 17.09.2018
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11. Auf diesen Aspekt weisen Autoren in verschiedenen Aufsätzen hin – zum Beispiel Michael Kosch, Bernhard Kretschmar, Daniel Schulz, Johannes Meyer (2021): NSFR 2.0 – Scharfschaltung der strukturellen Liquiditätsquote (Teil 2: Auswirkungen und Steuerungsimplikationen der neuen Säule-I-Anforderung), Banking Hub, 13.07.2021
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