Ein weiterer Schritt hin zur End-to-End-Digitalisierung von Kreditprozessen
Die Notwendigkeit zur End-to-End-Digitalisierung ihrer Kreditprozesse haben die Kreditinstitute erkannt und daher die Zeiten vom Antrag bis zur Kreditentscheidung oder Auszahlung bereits deutlich reduziert. Dennoch warten die Verbraucher noch immer deutlich zu lange auf die Bereitstellung der Finanzierungssumme.
- Der lange Weg der Kreditbearbeitung
- Individuelle und manuelle Prozesse
- Hohe Anzahl an analogen und digitalen Schnittstellen
- Form einer prototypischen Anwendung
- Vom technologischen Flickenteppich zu zukunftsträchtigen Plattformlösungen
- Die erfolgreiche Integration des Kalkulationsservices in eine bestehende Plattform
- Fazit
- Quelle
Ein Beitrag von Alexander Rautzenberg und Stephane Ben Malek
Integration des Kalkulationsservices MARZIPAN in die Banking-Plattform ISF
Wenn du den Wert des Geldes kennenlernen willst, versuche, dir welches zu leihen.
Benjamin Franklin
Wie dieses Zitat von Benjamin Franklin, einem der Gründerväter der Vereinigten Staaten, genau gemeint war, lässt sich nach über 230 Jahren wohl schwer beurteilen. Ob Franklin damit den langen und mühseligen Weg bei der Kreditbeantragung und das wertschätzende Gefühl bei der Auszahlung gemeint hat? Denn darüber kann man auch heute noch kontroverse Diskussionen führen und es scheint weiterhin seine Relevanz zu haben.
Die Notwendigkeit zur End-to-End-Digitalisierung ihrer Kreditprozesse haben die Kreditinstitute erkannt und die Zeiten vom Antrag bis zur Kreditentscheidung (Time-to-Yes) oder Auszahlung (Time-to-Cash) bereits deutlich reduziert. Dennoch warten die Verbraucher noch immer deutlich zu lange auf die Bereitstellung der Finanzierungssumme. Banken schaffen es immer noch nicht durchgängig, die Dauer der Kreditbearbeitung für die Kunden spürbar zu reduzieren. Dies ist angesichts des stark umkämpften Marktes und der bereitstehenden technischen Möglichkeiten überraschend.
Im vorausgegangenen NEWS-Artikel1 haben wir derzeitige Schwachstellen und Herausforderungen in Kreditprozessen beschrieben, die einen erheblichen negativen Einfluss auf die Bearbeitungs- und Durchlaufzeiten haben.
Individuelle und manuelle Prozesse
Innerhalb der Finanzinstitute besteht für beinahe jede Kreditart ein eigenständiger und individueller Kreditprozess. Jeder dieser Prozesse erfordert eine regelmäßige Pflege und Anpassung, beispielsweise aufgrund von regulatorischen Anforderungen. Zusätzlich sind einige dieser Prozesse teilweise oder sogar vollständig mit manuellen Tätigkeiten verbunden.
Hohe Anzahl an analogen und digitalen Schnittstellen
Eine Vielzahl von Schnittstellen und vor allem der Wechsel zwischen analogen und digitalen Schnittstellen innerhalb von Kreditprozessen verursachen hohe Transport- und Liegezeiten und tragen damit zur Erhöhung der Bearbeitungs- und Durchlaufzeiten bei.
Form einer prototypischen Anwendung für End-to-End-Digitalisierung von Kreditprozessen
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, haben wir zu Beginn des Jahres 2021 eine prototypische Anwendung entwickelt, die einen vollständig digitalisierten und generischen Kreditgenehmigungsprozess implementiert. Dieser ist für beliebig viele und unterschiedliche Kreditarten aus dem Privat- und Firmenkundenbereich geeignet und kann als generischer Teilprozess- Adapter (MicroProcess) an beliebige individuelle Kreditantragsprozesse angebunden werden. Der Ansatz und die damit einhergehende Standardisierung und Vereinheitlichung des Teilprozesses stellen eine Möglichkeit dar, die Durchlaufzeiten deutlich zu reduzieren (siehe auch den Artikel in der NEWS-Ausgabe 03/2020 und Abbildung 1).
Abbildung 1: Generischer Kreditprozess
Entwickelt wurde die prototypische Anwendung „Credit Decision Workflow“ (CDW) auf der Technologie-Plattform isfinancial (ISF) – der Banking-Plattform unseres langjährigen Kooperationspartners knowis AG. ISF ist ein Cloud-Offering, das vorgedachte Technologien, Werkzeuge sowie fachliche und technische Capabilities speziell für die Digitalisierung im Bereich Financial Services bereitstellt. Die Plattform ermöglicht hierbei nicht nur schnelle und sichere Anwendungsentwicklung (No-Code-/Low- Code, Governance, Out-of-the-box-Authentifizierung, Berechtigung, Logging und andere), sondern stellt auch vorgefertigte Fachlichkeit als Templates bereit.
Die erste Version (CDW 1.0) der prototypischen Anwendung konzentriert sich ausschließlich auf den Prüfungs- und Genehmigungsteilprozess. Vorausgesetzt werden demnach vorliegende Kunden- und Antragsdaten inklusive der Finanzierungsdaten als bereitstehende Inputdaten.
Großes Potenzial zur Optimierung der Durchlaufzeiten liegt darüber hinaus im Bereich des Antragsprozesses. Daher war ein erklärtes Ziel bei der Weiterentwicklung des Themas, die erkannten Schwachstellen auch im Kreditantragsprozess durch technische Lösungen anzugehen, um damit die Durchlaufzeiten weiter zu minimieren und dem Gesamtziel der End-to-End-Digitalisierung der Kreditstrecke einen Schritt näher zu kommen.
Die technische Lösung wird in der zweiten Version der prototypischen Anwendung (CDW 2.0) umgesetzt (siehe Abbildung 2).
Vom technologischen Flickenteppich zu zukunftsträchtigen Plattformlösungen
Besonders häufig findet man in Kreditinstituten eine große Anzahl analoger und digitaler Schnittstellen innerhalb der Kreditprozesse vor. Dabei handelt es sich oft um historisch gewachsene und stück- weise an die interne Organisation, Marktbedingungen und regulatorische Anforderungen angepasste und erweiterte Kreditprozesse. Diese Erweiterungen sorgen für die heute vielfach vorhandenen technologischen Flickenteppiche.
Nicht selten muss bereits der Bankbeschäftigte im organisatorischen Marktbereich mehrfach die Anwendung innerhalb der Bearbeitung desselben Kreditantrags wechseln. Im schlimmsten Fall müssen sogar Informationen per Hand von einem ins andere System übertragen werden. Allein diese Ausgangssituation ist für viele Finanzinstitute ein „Showstopper“ für jegliches Digitalisierungs- und Automatisierungsvorhaben. Denn häufig ist es eine große und kostspielige Herausforderung, Prozesse zu digitalisieren, in denen mehrere Anwendungen – oft externe Standardsoftware oder monolithische und inflexible Legacy-Systeme – Teilprozessschritte abbilden. Doch einen Aufschub der Problematik entschuldigt der Markt aufgrund der damit einhergehenden hohen Transport- und Liegezeiten nicht.
Aus diesem Grund empfiehlt sich die Verwendung von zukunftsträchtigen Plattformen, die es ermöglichen, Anbieter digitaler Softwarelösungen mit ihren Ange- boten leicht zu integrieren, sodass eine sukzessive Migration von Altsystemen durchgeführt werden kann.
Abbildung 2: Fokus der Anwendung CDW 2.0
Die Technologie-Plattform der knowis AG bietet dafür ideale Voraussetzungen. Zur Verprobung der Migration und der Anbindung von externen Services haben wir in der CDW 2.0 unseren Kalkulationsservice der msg GillardonBSM AG aus der Produktlinie MARZIPAN2 in einem Use Case an die Banking-Plattform ISF der knowis AG angebunden und gleichzeitig eine wiederverwendbare Standardschnittschnittstelle zwischen ISF und MARZIPAN geschaffen.
Die erfolgreiche Integration des Kalkulationsservices in eine bestehende Plattform
Der Use Case CDW 2.0 beinhaltet die Erweiterung des bestehenden Use Case (CDW 1.0) um die Kalkulation der Kreditkonditionen. Somit ist es für die User möglich, den Kreditprozess vom Antragsprozess über die Kreditgenehmigung/-entscheidung medienbruchfrei in der auf ISF basierten Anwendung durchzuführen (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3: Prozessbeschreibung CDW 2.0
Der Kalkulationsservice unseres Standardprodukts MARZIPAN steht in der Cloud als Managed Service (SaaS) zur Integration in bestehende IT-Anwendungen zur Verfügung und bietet neben der Berechnung von Effektivzins, Restschuld, Rate, Laufzeit und Nominalbetrag eine REST-API zur Ausgabe im Format von Tilgungs- und Zahlungsplänen. Aufgrund der Tatsache, dass für MARZIPAN bereits eine qualitative REST-Schnittstelle bereitsteht, ist eine Integration in bestehenden IT-Anwendungslandschaften unter geringem Aufwand möglich. Zur Anbindung an die ISF-Plattform bestand lediglich die Notwendigkeit, aufseiten der ISF-Plattform in einem sogenannten Business
Process Management (BPM) Toolkit einen Standard JavaScript-Service zu implementieren, der Ein- und Ausgabedaten für die MARZIPAN Kalkulationsservice-REST-Schnittstelle im JSON-Format ausgibt und empfängt.
Die Eingaben zur Kalkulation finden im User Interface der ISF-Plattform (im sogenannten Coach) statt und werden im dazugehörigen Domänenmodell an das oben genannte BPM Toolkit zur Weitergabe an den MARZIPAN Kalkulationsservice übergeben (siehe auch Architekturbeschreibung in Abbildung 4).
Abbildung 4: IT-Architektur CDW 2.0
Fachlich haben wir in der prototypischen Anwendung CDW 2.0 die Möglichkeit geschaffen, finanzmathematische Funktionen des MARZIPAN Rechenkerns in der ISF-Plattform zu nutzen. Das bedeutet, dass im Bereich des Kreditantrags im ISF User Interface alle relevanten Finanzierungsdaten wie beispielsweise Investitionsvolumen, Eigenkapitaleinsatz, Kreditlaufzeit und Sollzinsbindung erfasst werden und in Echtzeit zur Berechnung der Kreditkonditionen an den Kalkulationsservice über- geben werden (siehe Abbildung 5). Die Antwort in Form von Kreditkonditionen des MARZIPAN Kalkulationsservices wird durch die Anwendung grafisch aufbereitet (siehe Abbildung 6). An dieser Stelle wird ein deutlicher Vorteil sichtbar: MARZIPAN kann im Hintergrund ohne Oberfläche agieren, wodurch ein Medienbruch vermieden wird. Der User arbeitet in diesem Use Case weiterhin in seiner gewohnten Oberfläche der ISF-Anwendung und hat trotzdem vollständigen Zugriff auf die komplexen, finanzmathematischen Funktionen des Kalkulationsservices.
Fazit
Banking-Plattformen ebnen nicht nur den Weg zur IT-Modernisierung und schaffen neue Flexibilität in der IT-Landschaft, sondern können auch erheblich zum Digitalisierungsfortschritt in spezifischen Use Cases wie dem Kreditprozess beitragen. Die modularen Eigenschaften einer Plattform ermöglichen es, schnell und unter geringem Aufwand, aber vor allem auch nachhaltig (externe) Services in die eigene IT-Landschaft zu integrieren. Durch die Integration und Migration unterschiedlicher Services auf ein und dieselbe Plattform besteht zusätzlich die Möglichkeit, verschiedene Services technisch nahtlos miteinander kommunizieren zu lassen oder innerhalb eines Geschäftsprozesses auf Funktionalitäten mehrerer Dienste von verschiedenen Anbietern zugreifen zu können. Diese Tatsache steigert das Automatisierungspotenzial enorm, und die Digitalisierung kann wesentlich weitergedacht werden.
Abbildung 5: Erfassung der Finanzierungsdaten in CDW 2.0
Abbildung 6: Grafische Aufbereitung des Tilgungsverlaufs in CDW 2.0
In dem hier beschriebenen spezifischen Fall haben wir mit der Standardanbindung von MARZIPAN an die ISF-Plattform nun deutlich erweiterte Capabilities im Bereich der Kalkulation auf der Banking- Plattform zur Verfügung gestellt. So besteht in Zukunft auch die Möglichkeit, Services von MARZIPAN – wie etwa die Vor- und Nachkalkulation – im digitalen Arbeitsplatz einer ISF-Geschäftsanwendung ohne Medienbruch zu nutzen oder in automatisierte Abläufe einzubinden. Zusätzlich haben wir die unkomplizierte Integration von externen Services in bestehende Use Cases in der ISF-Plattform anhand der entwickelten Anwendung CDW 2.0 unter Beweis gestellt.
Das Ziel, erkannten Schwachstellen im Kreditantragsprozess durch technische Lösungen zu begegnen, wurde mit CDW 2.0 und der Integration von MARZIPAN in die ISF-Plattform erreicht. Insbesondere können durch den aufzeigten Lösungsansatz analoge und digitale Schnittstellen reduziert sowie lange Transport-, Liege- und Bearbeitungszeiten minimiert wer- den. Damit geht man einen weiteren Schritt in Richtung der End-to-End-Digitalisierung komplexer Kreditprozesse.
Insgesamt ist dies somit ein idealer Lösungsansatz, dem Markt in Zukunft verkürzte Zeiten bis zur Bereitstellung der Finanzierungssumme anzubieten und den von Benjamin Franklin als beschwerlich betrachteten Antragsprozess deutlich angenehmer zu gestalten.




Sie müssen sich anmelden, um einen Kommentar zu schreiben.