Fachartikel

Nachhaltige Konsumentenkredite: Eine Chance für das Retail-Banking, Teil 1

Ein nachhaltiges Konsumentenkreditangebot – (oft) noch Zukunftsmusik

NEWS 01/2025

Im Konsumentenkreditgeschäft zeigt sich, dass die meisten Kreditinstitute Nachhaltigkeitsaspekte nicht konsequent in ihren Vergabeprozess von Konsumentenkrediten integrieren und dadurch mögliche Vorteile ungenutzt lassen.

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Nachhaltige Konsumentenkredite,NEWS 01/2025

Einführung

Green Bonds, Green Fonds, Green ETFS – diese Anlageformen sind aus dem Wertpapiergeschäft längst nicht mehr wegzudenken. Eine ähnliche Entwicklung erwarten wir bei Green Loans. Im Konsumentenkreditgeschäft zeigt sich jedoch, dass die meisten Kreditinstitute Nachhaltigkeitsaspekte nicht konsequent in ihren Kreditvergabeprozess integrieren und dadurch mögliche Vorteile ungenutzt lassen.

Eine praktikable Lösung könnte die Nachhaltigkeitsklassifizierung des Finanzierungsvorhabens auf Basis der EU-Taxonomie sein.

Die Einordnung von Krediten als „grün“ oder „nicht grün“ ermöglicht eine gezielte Steuerung des Kreditportfolios und kann aktiv zur Dekarbonisierung beitragen. Zumal die Verknüpfung von Geschäftsstrategien mit mittelfristig angelegten Dekarbonisierungsstrategien in den EBA/GL/2025/01 zum ESG-Risikomanagement explizit gefordert wird.

Abseits regulatorischer Verpflichtungen eröffnet eine detaillierte Kenntnis des Finanzierungsvorhabens in Verbindung mit gezielten preispolitischen Anreizen zusätzliche Ertragspotenziale. Sie stärkt die Wettbewerbssituation, verbessert die Außenwirkung und trägt zur Erfüllung relevanter Offenlegungspflichten bei – etwa in Bezug auf die Green Asset Ratio (GAR).

Eine nachhaltige Ausrichtung des Konsumentenkreditgeschäfts bietet Banken somit die Chance, ihren kurz- und mittelfristigen Erfolg zu steigern. Sie erleichtert die Erfüllung regulatorischer Anforderungen, stärkt das Image durch eine innovative Vorreiterrolle und unterstützt die nachhaltige Transformation des Finanzsektors. Durch innovative Ansätze kann hierbei der Weg der nachhaltigen Transformation auch und gerade im digitalen und automatisierten Konsumentenkreditgeschäft wirtschaftlich erfolgreich beschritten werden.

In diesem ersten Teil unserer Miniserie untersuchen wir den Status quo und skizzieren die Möglichkeiten, wie ein nachhaltiges Konsumentenkreditangebot aussehen kann. Im zweiten Teil gehen wir auf die wirtschaftlichen Auswirkungen von nachhaltigen Konsumentenkrediten ein.

Konsumentenkreditgeschäft und Verbraucherpräferenzen

Das Konsumentenkreditgeschäft bietet Privatpersonen finanzielle Flexibilität, indem es Kredite für Konsumgüter und Dienstleistungen bereitstellt. Dazu zählen klassische Ratenkredite, Kreditkartenkredite sowie Leasing- und Dispokredite.

In Deutschland nutzen rund 20 % der Erwachsenen einen Konsumentenkredit.1 Das monatliche Neugeschäftsvolumen liegt laut Bundesbankstatistik im Schnitt bei etwa acht Milliarden Euro. Trotz der beachtlichen Größe dieses Marktsegments spielen Nachhaltigkeitsaspekte hier bisher kaum eine Rolle. Während bei Unternehmenskrediten2 und Immobilienfinanzierungen ESG-Scores und Energieeffizienzklassen bereits in den Vergabeprozess und die Risikobewertung einfließen, fehlt bei den meisten Instituten ein vergleichbarer Ansatz im Konsumentenkreditgeschäft. Dabei unterliegt dieses Marktsegment keinen reduzierten regulatorischen Anforderungen hinsichtlich der Berücksichtigung von ESG-Risiken im Kreditgeschäft. Im Gegenteil: Auch für dieses Geschäftsfeld wird eine Dekarbonisierungsstrategie benötigt. Zumal die Konsumenten – selbst in politisch herausfordernden Zeiten mit großen Unsicherheiten hinsichtlich der Umsetzung klimapolitischer Maßnahmen – weiterhin großen Wert auf ökologische und soziale Verantwortung bei Finanzdienstleistern legen.

Laut einer aktuellen Umfrage des Informationsdienstleisters CRIF gibt mehr als die Hälfte der Befragten an, dass sie sich eher für einen Finanzdienstleister entscheiden würden, der aktiv zum Umweltschutz beiträgt. Zudem fordern 54 % nachhaltige Finanzprodukte.3

In einer vergleichbaren Studie aus dem Jahr 2021 signalisieren 62 % der deutschen Bevölkerung, dass ihnen das nachhaltige Handeln von Banken wichtig sei. Eine Untersuchung des Bankenfachverbands zeigt zudem, dass 17 % der Verbraucher beim Abschluss von Finanzdienstleistungen gezielt auf deren Nachhaltigkeit achten.4

Diese Entwicklung – kombiniert mit dem bislang fehlenden, kundengerechten Angebot nachhaltiger Finanzprodukte5 – eröffnet Kreditinstituten neue Chancen: Sie können nachhaltige Konsumentenkredite als strategisches Differenzierungsmerkmal nutzen und damit neben den regulatorischen Anforderungen auch den veränderten Kundenbedürfnissen und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden.6

Kreditvergabe zumeist ohne Kenntnis des Finanzierungsvorhabens

Trotz der steigenden Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten spielen ESG-Kriterien bei der Vergabe von Konsumentenkrediten bislang kaum eine Rolle. Ganz im Gegenteil: Klassische Konsumentenkredite werden derzeit meist standardisiert und ohne Prüfung der Nachhaltigkeit des Verwendungszwecks vergeben, auch weil dieser bisweilen noch nicht einmal erfasst wird. An diesem Punkt unterscheidet sich die Konsumentenkreditvergabe eklatant von der von Immobilien- oder Unternehmenskrediten, bei denen Banken detaillierte Informationen über das Finanzierungsvorhaben einholen.

Zwar ermöglicht die derzeitige Form der Konsumentenkreditvergabe eine schnelle Abwicklung, sie führt jedoch zu strategischen Defiziten bei den Kreditgebern. Eine gezielte Steuerung dieses Kreditportfolioteils ist nicht möglich: Weder ist die Istzusammensetzung in Bezug auf ESG-Kriterien ersichtlich, noch lässt sich eine Planung der Sollzusammensetzung zur Umsetzung der Dekarbonisierungsziele planen. Dies offenbart eine Lücke beim Erfüllen regulatorischer Vorgaben, die sich auch auf die Offenlegungskennzahlen wie die GAR auswirkt. Zudem bleiben mögliche Vorteile bei der Risikobewertung ungenutzt.

Dieser Umstand wirft unmittelbar die Frage auf, wie der offensichtlich benötigte Verwendungszweck effizient und automatisiert ermittelt sowie entsprechend der ökologischen Nachhaltigkeit klassifiziert werden kann.

Ein vielversprechender und innovativer Ansatz liegt im Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI). Mithilfe fortschrittlicher KI-Algorithmen lässt sich eine vollautomatisierte und zugleich für den Endkunden verständliche und transparente Klassifizierung von Finanzierungsvorhaben gemäß ökologischen Nachhaltigkeitskriterien realisieren.

Auch ohne manuelle Prüf- und Beratungsschritte durch Bankmitarbeiter ermöglicht ein auf einem Large Language Modell (LLM) basierender Chatbot den Kreditnehmern, ihre Finanzierungsvorhaben in einem einfachen Dialog zu erläutern.

Durch gezielte Rückfragen zum ursprünglichen Finanzierungszweck und die über den Dialog einhergehenden Kundenantworten kann die KI eine präzise und valide Einschätzung zur Nachhaltigkeit des Vorhabens treffen. Als objektive Entscheidungsgrundlage kann beispiels- weise die EU-Taxonomie dienen, die einen einheitlichen, etablierten Kriterienkatalog für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten formuliert und auch für die Ermittlung der GAR herangezogen wird. Erste Tests mit nur wenigen Rückfragen durch die KI zeigen, dass dieser Ansatz eine hohe Entscheidungsqualität aufweist. Die schnelle und automatisierte Kategorisierung in „grüne“ und „nicht grüne“ Kredite beeinträchtigt die zügige Abwicklung des Kreditgeschäfts keineswegs.

Nachhaltige Konsumentenkredite, KI-basierter Chatbot zur Nachhaltigkeitsklassifizierung von Finanzierungsvorhaben

Abbildung 1: KI-basierter Chatbot zur Nachhaltigkeitsklassifizierung von Finanzierungsvorhaben

Abbildung 1 illustriert exemplarisch die KI-gesteuerte Klassifizierung eines Finanzierungsvorhabens unter ESG- Aspekten.7 Da es sich um einen grünen Finanzierungszweck handelt, wird dem Endkunden ein Nachhaltigkeitsbonus gewährt.

Im Folgenden erläutern wir, wie die Höhe dieses Bonus bestimmt wird und warum er die Zielmarge des Kreditportfolios der finanzierenden Banken nicht reduziert.

So kann ein nachhaltiges Konsumentenkreditangebot aussehen

Das Angebot von Konsumentenkrediten beginnt in der Regel mit auffällig günstigen Schaufensterkonditionen (… ab 2,99 % Effektivzinssatz), die auf Websites, Plattformen und sonstigen Werbekanälen zur potenziellen Ansprache von Kunden präsentiert werden. Im Verlauf des Kreditantragsprozesses wird jedoch, basierend auf einer individuellen Bonitätsprüfung und einem Scoring-Verfahren, der tatsächliche Angebotszinssatz ermittelt. Dieser variiert im Wettbewerb typischerweise innerhalb einer Bandbreite, beispielsweise zwischen 2,99 % und 11,99 %.

Das skizzierte Risk-Adjusted Pricing ist seit vielen Jahren etabliert und entspricht den Vorgaben der MaRisk.

Angenommen, ein Kunde mit mittlerer Bonität erhält ein Finanzierungsangebot zu einem Nominalzinssatz von 5,99 % p. a., der dem Effektivzinssatz entspricht, wenn jährliche Ratenzahlungen vorgesehen sind. Die Kalkulation des Kreditgebers basiert dabei auf mehreren zentralen Komponenten:8

  • Refinanzierungskosten
  • Prämie zur Absicherung des Ausfallrisikos (Adressausfallprämie)
  • Zielmarge zur Deckung der operativen Kosten und des Gewinnbedarfs
  • Preispolitik (zum Beispiel Subventionen oder Preisnachlässe zur Wettbewerbsförderung und Kundengewinnung)

Weiter sollen sich die Refinanzierungskosten und die Adressausfallprämie auf 3,00 % p. a. addieren. Somit beträgt die Zielmarge des Kreditgebers 2,99 %.

Diese Kalkulation ignoriert jedoch den ökologischen Einfluss des Finanzierungsvorhabens, der den tatsächlichen Ertrag des Kredits erheblich beeinflussen kann.

Ein erhöhtes ökologisches Risiko kann die Adressausfallprämie steigen lassen9, während regulatorische Anforderungen oder gesellschaftliche Erwartungen zusätzliche Kosten verursachen können – sei es durch notwendige Anpassungen in der Kreditvergabe und der Portfoliosteuerung, potenzielle Reputationsverluste oder steigende Aufwände zur Bedienung nachhaltiger Kundenpräferenzen.

Darüber hinaus soll der Kreditgeber in unserem Beispiel die ökologische Nachhaltigkeit des Finanzierungsvorhabens erfasst haben – beispielsweise mithilfe des oben beschriebenen Ansatzes. Die Kredite werden dabei in zwei Kategorien unterteilt:

  1. grüne Vorhaben (ökologisch nachhaltig)
  2. graue Vorhaben (nicht den Nachhaltigkeitskriterien entsprechend)

Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, führt der Kreditgeber eine Konditionenspreizung ein: Kunden mit einem grünen Finanzierungsvorhaben erhalten einen reduzierten Nominalzins von 5,09 % statt der ursprünglichen 5,99 %, während für graue Vorhaben der Nominalzins auf 6,22 % steigt. Diese Differenzierung verdeutlicht, dass die Nachhaltigkeit als zusätzlicher preisbestimmender Faktor in die Preisgestaltung einfließt.

Im Neugeschäft differenziert die Bank somit aktiv und bewirbt die günstigere Kondition von 5,09 %. Ceterius paribus senkt sie den Angebotszins für nachhaltige Finanzierungen und stärkt damit deren Attraktivität.

Kunden, die „nicht grün“ investieren, müssen hingegen einen deutlich höheren Zinssatz akzeptieren. Dennoch fällt die optische Wahrnehmung der Konditionenanpassung in diesem Fall wesentlich geringer aus: Vor der Umstellung lag der Nominalzins bei 5,99 %, der nach der Anpassung für nicht nachhaltige Kredite nur leicht auf 6,22 % steigt.

Anders ausgedrückt: War die ursprüngliche Kondition wettbewerbsfähig, wird die neue Bepreisung nicht dazu führen, dass sich die Bank aus dem Markt kalkuliert.

Die differenzierende Bepreisung sichert zum einen die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells des Instituts und stellt zum anderen auch sicher, dass veränderte Marktpräferenzen der Kunden angemessen berücksichtigt werden.

Im zweiten Teil (erscheint in der NEWS 02/2025) erläutern wir, wie und warum sich ein derartiges nachhaltiges Konsumentenkreditangebot positiv auf den wirtschaftlichen Erfolg auswirkt und damit die Zukunftsfähigkeit von Instituten sicherstellt.

Quellen und weiterführende Hinweise
Dr. Fabian Eska

Dr. Fabian Eska

konzipiert und verantwortet bei msg for banking Softwarelösungen im Bereich Sustainable Finance und gestaltet damit die nachhaltige Zukunftsfähigkeit von Banken mit. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler (Finance) hat bereits in wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu aktuellen Themen aus dem Bereich FinTech publiziert.

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