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Interview: „Wie werden Captives gesteuert, Herr Dr. Wittig?“

NEWS 03/2024

Dr. Thomas Wittig war jahrzehntelang als Führungskraft für die BMW Group tätig. Unter anderem verantwortete er den Konzernabschluss und in den letzten Jahren vor seinem Eintritt in den Ruhestand 2022 die BMW Group Financial Services. Diese umfasst weltweit über 50 Gesellschaften und Kooperationen mit lokalen Finanzdienstleistern, in Deutschland die BMW Bank GmbH mit Zweigniederlassungen in Italien, Spanien und Portugal. Prof. Dr. Konrad Wimmer sprach mit ihm darüber, wie Captives gesteuert werden und vieles mehr.

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Interview Dr. Wittig, Wie werden Captives gesteuert, NEWS 03/2024

Automobilbanken sind konzerngebunden und übernehmen für ihren Konzern die Händler- und Absatzfinanzierung. Sie werden deshalb auch als „Captives“  bezeichnet.

Dr. Wittig, Steuerung Captives

Dr. Thomas Wittig war jahrzehntelang als Führungskraft für die BMW Group tätig. Unter anderem verantwortete er den Konzernabschluss und in den letzten Jahren vor seinem Eintritt in den Ruhestand 2022 die BMW Group Financial Services. Diese umfasst weltweit über 50 Gesellschaften und Kooperationen mit lokalen Finanzdienstleistern, in Deutschland die BMW Bank GmbH mit Zweigniederlassungen in Italien, Spanien und Portugal.

„Wie werden Captives gesteuert, Herr Dr. Wittig?“

Herr Dr. Wittig, wie der Geschäftsbericht 2023 der BMW Group erläutert, zielt das konzerninterne Steuerungssystem auf eine langfristige Wertsteigerung ab. Messlatte für die wertorientierte Konzernsteuerung ist der aus dem Kapitalmarkt abgeleitete unternehmensspezifische Mindestverzinsungsanspruch auf Basis der gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (Weighted Average Cost of Capital). Die wertorientierte Steuerung dient vor allem dem Treffen von Projektauswahlentscheidungen. Das heißt, dass der sogenannte Nettokapitalwert der Projekte, beziehungsweise – allgemein gesprochen – der Investitionen, das Entscheidungskriterium darstellt. Ist das so korrekt wiedergegeben?

Dr. Wittig: Im Wesentlichen ja. Neben dem Kapitalwert werden auch die Renditen der Investitionen ermittelt, da Investitionen nur durchgeführt werden, wenn sie eine Mindestrendite aufweisen. Dies sind die Kriterien der wertorientierten Steuerung für das operative Geschäft der Segmente Automobile und Motorräder.

Ebenso kommt dieses Entscheidungskriterium auch bei den Financial-Services-Einheiten zum Einsatz. Dort ist es unter den Stichworten Margenbarwert beziehungsweise Konditionsbeitragsbarwert geläufig.

Dem Geschäftsbericht 2023 zufolge ist der Erfolgsmaßstab für die BMW Group die Größe RoCE (Return on Capital Employed). Könnten Sie bitte kurz erläutern, was darunter genau zu verstehen ist? Und welche Kennzahl für den Finanzdienstleistungssektor, also die Einheit Financial Services, verwendet wird? Natürlich interessiert uns auch, welche Renditeziele angestrebt werden.

Dr. Wittig: Am einfachsten ist es, wenn wir uns hierzu den Werttreiberbaum ansehen. Der Wertbeitrag ergibt sich aus dem Ergebnis (EBIT) nach Abzug der Kapitalkosten. Für RoCE gilt EBIT/ Capital Employed. Man sieht, dass RoCE aus der Multiplikation der beiden Kennzahlen Umsatzrendite und Kapitalumschlag ermittelt werden können, also EBIT/Umsatz mal Umsatz/Capital Employed.

Im Segment Finanzdienstleistungen wird die im Bankensektor übliche Eigenkapitalrendite Return on Equity (ROE) als maßgebliche Kennzahl her- angezogen. Dabei wird das Segmentergebnis durch das im Erfolgsbereich Finanzdienstleistungen gebundene Eigenkapital dividiert. Die Eigenkapitalbindung kann bilanziell, ökonomisch oder regulatorisch ermittelt werden. Außerdem kann diese Kennzahl für die einzelnen Landesgesellschaften der BMW Group Financial Services ermittelt werden.

Beim RoCE betrug das Ziel im Jahr 2023 18 % und beim RoE 14 % – jeweils vor Steuern.

Bei den von Ihnen eben erläuterten Steuerungskennzahlen RoCE und RoE handelt es sich um periodenbezogene Kennziffern. Wie hat es die BMW Group geschafft, einen Einklang zwischen der periodischen beziehungsweise am Rechnungswesen orientierten Steuerung und der barwertigen Projektsteuerung hinzubekommen? Ehrlich gesagt, stehen sich die beiden Steuerungsansätze bei vielen Kreditinstituten noch immer isoliert voneinander gegenüber, auch wenn die von der BaFin verordnete Doppik der normativen und ökonomischen Risikotragfähigkeit hier positiv gewirkt hat.

Dr. Wittig: Bei jeder Projektentscheidung werden neben der Kapitalwertveränderung und der erzielbaren Projektrendite auch die periodischen Ergebniseffekte der Entscheidung im Langfristzeitraum dargestellt. Dieser Ansatz erlaubt einen permanenten Abgleich zwischen den dynamischen mehrperiodigen und den periodenbezogenen Zielgrößen. Diese Überlegung gilt auch für die Finanzdienstleistungen. Die Überlegung ist, dass zunächst die Cashflows über die betrachteten Perioden gesamthaft als Planungsgrößen ermittelt werden. Die Kapitalwerte lassen sich über die einzelnen Segmente addieren. Dies ist die Basis für die Anwendung des Kapitalwertkriteriums.

Im folgenden Schritt können die unter Anwendung der buchhalterischen Regeln und gegebenenfalls der internen Kosten- und Leistungsrechnungen des Controllings die jeweiligen Periodenergebnisse ermittelt werden. Gilt es spezifische Periodenzielsetzungen zu berücksichtigen, erlaubt dieser Ansatz eine geeignete Rückkoppelung zur Maßnahmenableitung.

Also die Cashflows werden als maßgebliche Planungsgrößen betrachtet, die dann im Rechnungswesen in Zeitscheiben aufgeteilt werden. Langfristig stimmen die Zeitscheibenergebnisse mit der barwertigen Erfolgsgröße überein. Damit entsteht ein gesamthafter, konsistenter Steuerungsansatz.

Lassen Sie uns den Blick nach vorne richten. Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Banksteuerung der Zukunft? Oder sind alle methodischen Fragen aus Ihrer Sicht geklärt? Reichen die bisherigen Steuerungskonzepte? Bringen die einzelnen Financial-Services-Einheiten Anregungen ein?

Dr. Wittig: Die Banksteuerung wird mit einer weiter zunehmenden Regulatorik sowohl vom Ausmaß der Regelungen als auch von der Komplexität her konfrontiert werden. Dabei wäre es wünschenswert, dass die Regelungen in Abständen auf ihre Effektivität im Hinblick auf die dahinterliegenden Zielsetzungen überprüft werden. Es ist meines Erachtens immer wertvoll, sich mit den Steuerungskonzepten und ihrer Wirkungsweise zu beschäftigen. Im Rahmen der globalen Financial-Services-Aktivitäten müssen sich die einzelnen Financial-Services-Einheiten sowohl mit nationalen als auch supranationalen Anforderungen auseinandersetzen. Dadurch entstehen Anregungen, die in einen wertvollen Erfahrungsaustausch münden.

Grafik Geschäftsbericht BMW,

Abbildung 1: BMW Group – Werttreiber (1)

Auch der Markt für Finanzdienstleistungen ist einem rasanten Wandel durch geänderte Kundenansprüche, aber auch durch die Digitalisierung unterworfen. Kunden möchten flexibel auf dem Smartphone Dienstleistungen wie zum Beispiel Versicherungen befristet buchen, oder wünschen sich eine mühelose Abrechnung von Mautgebühren. Wie reagiert die BMW Group Financial Services auf diese Herausforderungen? Als Captive liefert sie ja seit vielen Jahren einen erheblichen Ergebnisbeitrag für die BMW Group.

Dr. Wittig: In Zusammenarbeit mit den Kerngeschäftssegmenten werden neue Kundenansprüche im Zusammenhang mit der Mobilität analysiert. Financial Services ist mit eingebunden, wenn dabei ein Beitrag zum Kundennutzen geleistet werden kann.

Vielen Dank für die interessanten Einblick, Herr Dr. Wittig.

Dr. Wittig: Sehr gerne.

Das Interview führte Prof. Dr. Konrad Wimmer, msg for banking ag.

Anhang

Beispiel zur Frage 3: „Einklang zwischen der periodischen beziehungsweise am Rechnungswesen orientierten Steuerung und der barwertigen Projektsteuerung“1

Wir betrachten den Projekt-Cashflow (beziehungsweise alternativ einen Kredit-Cashflow) mit einer Investition in Höhe von 100, der zu gleich hohen Rückflüssen in Höhe von 55,30 im Jahr 1 und 2 führen soll. Die Projektrendite beträgt 6,99 %. Die Opportunität, die Rendite, die am Geld- und Kapitalmarkt (GKM) erzielbar beziehungsweise für die Finanzierung aufzuwenden wäre, entspricht im Beispiel dem oben erwähnten Mindestverzinsungsanspruch. Da die Anlage am Geld- und Kapitalmarkt nur 3 % erbringen soll, rechnet sich das Projekt. Der Marktwert, das ist der Barwert der diskontierten Cashflows, beträgt 105,82. Das heißt, der Nettokapitalwert (NKW), zugleich der Margenbarwert (MBW), errechnet sich mit 105,82 – 100 = 5,82. Die Projektentscheidung ist damit leicht zu treffen, da sich das Projekt (beziehungsweise der Kredit) auch anhand des Kapitalwertkriteriums rechnet (vgl. Tabelle 1).

Projektentscheidung anhand des Kapitalwertkriteriums

Tabelle 1: Projektentscheidung anhand des Kapitalwertkriteriums

Nun gilt es, den Blick auf die periodische Ermittlung der bilanziell gemessenen Projektrenditen zu richten. Das Projekt liefert eine periodische Rendite in Höhe von 6,99 % (= 6,99/100 beziehungsweise 3,61/51,69); vgl. Tabelle 2.

Bilanzielle Renditemessung

Tabelle 2: Bilanzielle Renditemessung

Die Opportunität verzinst sich entsprechend mit 3,00 %. Man erhält somit Opportunitätszinsen von 3 = 100 * 3 % und 1,55 = 51,69 * 3 %. Entsprechend beträgt der Periodenerfolg 3,99 % (6,99 % – 3 %) beziehungsweise 3,99 und 1,55 in absoluten Beträgen. Der Periodenerfolg wird in der Bankenbranche auch als Marge bezeichnet; vgl. Tabelle 3.2

Ermittlung der periodischen Marge

Tabelle 3: Ermittlung der periodischen Marge

Nun lässt sich auch die GuV angeben unter der Prämisse, dass das Projekt mit 3 % am Geld- und Kapitalmarkt finanziert wurde. Der jährliche Gewinn (Jahresüberschuss) beläuft sich auf 3,99 beziehungsweise 2,06 – er entspricht damit der eben ermittelten Projektmarge; vgl. Tabelle 4.

GuV-Ergebnis (zugleich EVA)

Tabelle 4: GuV-Ergebnis (zugleich EVA)

Schließlich ist zu klären, wie die im Interview beschriebene „Rückkoppelung“ umgesetzt werden kann. Hierzu kann man periodisch den Marktwert der Investition mit dem eingesetzten Kapital vergleichen. Bei Start des Projekts stimmt die Differenz mit dem Margenbarwert beziehungsweise Nettokapitalwert überein. Realisieren sich die Projekt-Cashflows im Zeitablauf wie geplant, so entspricht die eben angesprochene Differenz gerade dem aufgezinsten Nettokapitalwert. Im Jahr 1 gilt demnach: 5,82 *1,03 = 5,99. Liegt der Istwert darunter, so ist dies ein zuverlässiger Indikator, um im Projekt nachzujustieren;3 vgl. Tabelle 5.

Messung des Projektfortschritts

Tabelle 5: Messung des Projektfortschritts

Quelle
Konrad Wimmer

Prof. Dr. Konrad Wimmer

ist promovierter Diplom-Kaufmann und bei msg for banking für die strategische Themenentwicklung verantwortlich. Sein Fokus liegt auf den Themen Sustainable Finance, Bankcontrolling, Finanzmathematik, Geschäftsfeldsteuerung, wertorientierte Vertriebssteuerung und Risikomanagement. Er berät Banken zu diesen Themen und ist erfahrener Referent und Autor.

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