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Quantifizierung von Klimarisiken – Praktische Einblicke (NEWS 03/2023)

Die Berücksichtigung von Klimarisiken in den Stresstest-Rahmenwerken und internen Modellen von Banken ist noch nicht ausreichend. Zu diesem Schluss kam die EZB in ihrer Ergebnisveröffentlichung zum Klimastresstest für bedeutende Institute im Jahr 2022. Darin wurde bemängelt, dass die Mehrheit der Banken noch keinen Rahmen für Klimastresstests hat und Klimarisiken nicht in ihre Kreditrisikomodelle einbezieht. Dementsprechend riet die EZB den Instituten, ihre Anstrengungen zur Messung und Steuerung von Klimarisiken dringend zu verstärken. Lesen Sie hier, wie Klimarisiken konkret in das Stresstesting von Banken integriert werden können.

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Quantifizierung von Klimarisiken, NEWS 03-2023

Der Druck für europäische Banken steigt

Die Berücksichtigung von Klimarisiken in den Stresstest-Rahmenwerken und internen Modellen von Banken ist noch nicht ausreichend.1 Zu diesem Schluss kam die EZB in ihrer Ergebnisveröffentlichung zum Klimastresstest für bedeutende Institute im Jahr 2022. Darin wurde bemängelt, dass die Mehrheit der Banken noch keinen Rahmen für Klimastresstests hat und Klimarisiken nicht in ihre Kreditrisikomodelle einbezieht.

Grund hierfür ist der Mangel an einschlägigen Daten zur Berücksichtigung von Klimarisiken in klassischen Risikomodellen.2 Über alle Sektoren hinweg konnten die teilnehmenden Banken lediglich zu etwa 30 % auf gemessene Scope-1-Emissionen von Unternehmen für die Quantifizierung der Stressszenarien zurück- greifen.3 Der Großteil der Daten beruhte folglich auf Schätzungen.

Dementsprechend riet die EZB den Instituten, ihre Anstrengungen zur Messung und Steuerung von Klimarisiken dringend zu verstärken.4

Dafür spricht auch die kürzlich veröffentlichte 7. MaRisk-Novelle, die in AT 4.3.3 von Instituten verlangt, ESG-Risiken in Stresstests zu berücksichtigen. Doch der Umsetzungsdruck kommt nicht nur von rein regulatorischer Seite. Banken müssen sich auch mit den ESG-Faktoren (Environmental, Social und Governance) – also mit den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – befassen, um ihr Geschäftsmodell zukunftssicher aufzustellen. Bei regionalen Banken stammen über 70 % des Zinsertrags aus den 22 kohlenstoffintensiven Branchen. Durch die derzeit steigenden Zinsen wird auch die Abhängigkeit der Institute vom Zinsertrag wieder steigen. Somit wird eine Berücksichtigung von ESG-Risiken im Risikomanagement und insbesondere in den Stresstests von Banken unausweichlich sein, um sich der Risiken, die sich aus der Transformation der Wirtschaft und der Klimaerwärmung ergeben, bewusst zu werden. Dazu sollten Banken das Thema Nachhaltigkeit und die Rolle, die sie bei der Transformation spielen möchten, auch in ihre Geschäftsstrategie integrieren.

Was sind Klimarisiken?

Klimarisiken werden typischerweise in physische und transitorische Risiken unterteilt. Physische Risiken sind solche, die sich im Hinblick auf einzelne Extremwetterereignisse und deren Folgen ergeben. Für Unternehmen können sich physische Risiken zum Beispiel in Schäden an Gebäuden auswirken. Aufgrund des Klimawandels steigen Stärke und Häufigkeit von Dürre, Hitze, Wassermangel oder Starkregen, wodurch auch physische Risiken steigen. Transitorische Klimarisiken ergeben sich für Unternehmen aus der sukzessiven Dekarbonisierung der Wirtschaft, also aus den Auswirkungen einer ambitionierten Klimaschutzpolitik. Dazu gehören Verschärfungen des Emissionshandels, strengere Energieeffizienzvorschriften sowie auch die Förderung von zukunftsfähigen Technologien.

Wie können Klimarisiken messbar gemacht werden?

Es sind zwei Dinge, die für die Messung von Klimarisiken benötigt werden, aber in Banken heute noch nicht in ausreichender Quantität und Qualität vorhanden sind: erstens Daten und zweitens Modelle.

Die Veröffentlichung der „European sustainability reporting standards“ (ESRS) und die Konkretisierungen der EU-Taxonomie ebnen den Weg für eine standardisierte Nachhaltigkeitsberichterstattung und dadurch für eine institutsspezifische ESG-Datenbasis von Unternehmen. Da sich diese Datenbasis jedoch erst im Aufbau befindet, sind Banken darauf angewiesen, bei der Einschätzung von Klimarisiken auf Approximationsmodelle zurückzugreifen.

In der 7. MaRisk Novelle stellt die Bankenaufsicht zudem klar, dass Banken bei der Konzeption auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen sollten. Das „Network for Greening the financial system“ (NGFS) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kreditinstituten diese wissenschaftliche Grundlage zur Verfügung zu stellen. Das NGFS bringt naturwissenschaftliche und ökonomische Modellframeworks zusammen, um mögliche Temperaturanstiegsszenarien zu konzipieren.

Für Banken bietet sich mithilfe der Szenarien die Möglichkeit, Storylines für die Stresstestkonzeption zu entwickeln und eine Quantifizierung von Klimarisiken durchzuführen.5

Neben den transitorischen Risiken, auf die die NGFS- Szenarien das Hauptaugenmerk legen, fokussiert sich der EZB-Stresstest 2022 auf insbesondere zwei physische Risiken: Einen Ad-hoc-Schock durch eine Dürre sowie ein Überschwemmungsszenario. Je nach Geschäftsstrategie des Instituts können physische Risiken heute schon ein wichtiger Treiber sein. Für Deutschland werden insbesondere ein Anstieg von Extrem- und Starkregen sowie von Sturmflutereignissen in Küstennähe vorhergesagt. Bei steigendem Bewusst- sein für diese Gefahren in der Bevölkerung sind Marktpreisabschläge für Immobilien mit entsprechendem Hochwassergefahrenlevel wahrscheinlich. Durch die Verwendung von unterschiedlichen Marktpreis-Shifts auf grundpfandrechtliche Sicherheiten je nach Hochwassergefahrenlevel aus dem EZB-Stresstest 2022 in Kombination mit Hochwassergefahrenkarten der deutschen Ämter können Immobiliensicherheiten bewertet und in entsprechende LGD-Shifts im Rahmen der Adressrisikomodellierung integriert werden.

Wie können transitorische Klimarisiken konkret in das Stresstesting von Banken integriert werden?

Die Daten des NGFS liefern Zeitreihen für die nächsten 50 Jahre, die als Basis zur Parametrisierung von Klimastresstests herangezogen werden können.

Ausgangspunkt der NGFS-Modelle ist die Einführung eines CO2-Preises. Wird dieser ad hoc in Höhe der langfristigen Zielsetzung der Politik gesetzt, führt dies langfristig dazu, dass der weltweite CO2-Ausstoß so weit sinkt, dass die Klimaerwärmung begrenzt werden kann. Kurzfristig verursacht diese Maßnahme allerdings hohe Kosten, die sich direkt in den wesentlichen Risikoarten von Instituten niederschlagen. Im Folgenden wird die Umsetzung eines Klimastresstests mit Fokus auf eine wissenschaftlich fundierte Parametrisierung im Kreditrisiko von Banken skizziert.

Beschreibung Makromodell

Zunächst werden mit dem sogenannten Makromodell Veränderungen in der Ausfallrate (PD) modelliert.

Hierzu wird – ausgehend von historischen Beobachtungen der auch in den NGFS-Szenarien vorhergesagten Größen wie BIP, Inflation und Zinsen – ein quantitativer Zusammenhang zwischen diesen makroökonomischen Größen und der Ausfallrate mittels eines Regressionsverfahrens bestimmt. Die historische Ausfallrate für das Segment Corporates stammt dabei von S&P. Durch das Makromodell ist es nun möglich, die Ausfallrate in jedem NGFS-Szenario vorherzusagen und einen PD-Shift im Vergleich zum unterstellten Basisszenario für potenziell die nächsten 50 Jahre zu ermitteln. Dabei ist zu beachten, dass insbesondere für schlechte Ausgangsratings die PD durch den Shift nicht über 100 % steigen sollte.

Ein Kalibrieren des Modells auf die institutsspezifische Ausfallrate ist bei guter Datenlage möglich. Zudem ist aufgrund des Vorgehens das Makromodell auch in der Lage, außerhalb des NGFS-Kontexts Rating-Shifts für (selbst gewählte) Szenarien zu berechnen, sodass es sich prinzipiell für alle Arten von Stresstests eignet.

Durch das Makromodell kann das Kreditrisiko des Instituts quantifiziert werden. Risikokennzahlen im Bereich Marktpreisrisiko werden aus Zinsszenarien sowie Credit-Spread-Veränderungen im Stressszenario berechnet, die aus NGFS-Prognosen für Zins- und Aktienkursentwicklungen hergeleitet werden können. Für das Liquiditätsrisiko bieten sich beispielsweise Annahmen zur Refinanzierung eines Instituts im Klimastress an. Um das operationelle Risiko zu bewerten, lohnt es sich, die Modellannahmen des NGFS zu kennen und diese angemessen auf ein Institut zu übertragen – hier ist allerdings etwas Kreativität gefordert, da die Datengrundlage des NGFS in diesem Bereich eher dünn ist.

Zu beachten ist jedoch, dass die Daten des NGFS lediglich auf Länderebene (zum Beispiel Deutsch- land) aggregierte Zeitreihen liefern. Insbesondere im Adress- und im Marktpreisrisiko sollten die Daten weiter disaggregiert werden. Die Ebene der Disaggregation gibt die Aufsicht beispielsweise in ihrem aktuellen One-off-Fit-for-55-climate-risk-scena- rio-analysis-Projekt6 vor: Unternehmenskredite sollten mindestens nach Wirtschaftszweigen (NACE-Level 2) unterschiedlich hinsichtlich ihres Ausfallrisikos bewertet werden.

Abbildung 1, Klimarisiken, NEWS 03-2023

Abbildung 1: Prozess zur quantitativen Ableitung von Kreditrisikokennzahlen aus Klimaszenarien

Hintergrund ist, dass die Belastung der Wirtschaft aus einem Klimastressszenario über die verschiedenen Wirtschaftszweige hinweg stark unterschiedlich ausfällt. So leiden beispielsweise Unternehmen mit hohem CO2-Ausstoß finanziell stärker unter der Einführung eines CO2-Preises. Ist der CO2-Ausstoß eines Unternehmens nicht bekannt, so kann das Ausfallrisiko über den zugehörigen Wirtschaftszweig parametrisiert werden. Ebenso verhält es sich im Markpreisrisiko: Unternehmensanleihen sollten mindestens auf NACE-Level-2-Ebene bewertet werden.

Im vorliegenden Pilotstresstest wird für das Kreditrisiko mit Skalierungsfaktoren der Bundesbank gearbeitet, die die Auswirkungen eines globalen CO2-Preises auf Wertschöpfungsverluste von Branchen darstellen.

Es wird deutlich, dass bestimmte Wirtschaftszweige wie Landwirtschaft oder Bergbau besonders starke PD-Shifts erhalten sollten, da die ESG-Risiken in diesen Wirtschaftszweigen besonders hoch sind.

Eine Erweiterung des Modells würde die Kreditpartner des Instituts zusätzlich zur Branchen- und Ratingklassengliederung noch hinsichtlich ihres CO2-Intensitätlevels gliedern und auf diese Art die PD-Shifts noch verfeinern.

Beispielrechnung

Um das Vorgehen bezüglich der transitorischen Risiken zu veranschaulichen, wurde anhand der NGFS- Szenarien, der branchenweisen Skalierungsfaktoren und des Makromodells eine PD-Shift-Matrix festgelegt, die auf zwei Beispielinstitute angewendet wurde: ein Institut, das eine eher unterdurchschnittliche Gewichtung der von transitorischen Klimarisiken stark betroffenen Branchen aufweist, sowie ein Institut mit einer überdurchschnittlichen Gewichtung. Als durchschnittliche Gewichtung der Branchen wurde der prozentuale Anteil der Branchen an der deutschen volks- wirtschaftlichen Bruttowertschöpfung angenommen. Die beiden Beispielinstitute unterschieden sich also in ihrer Portfolioallokation. Für das Institut mit geringem Klimarisiko wurde der Bruttoexposure-Anteil an den Branchen mit den stärksten transitorischen Klimarisiken halbiert. Für das Institut mit erhöhtem Klimarisiko wurde der Bruttoexposure-Anteil an den Klimarisikobranchen vervierfacht. Zum großen Teil sind die Portfolien gleich, da die klassischen durch den Klimawandel zunächst gefährdeten Branchen nur einen kleinen Anteil an der deutschen Bruttowertschöpfung ausmachen. Dennoch ist erkennbar, dass die Branchen Chemie sowie Abwasser- und Abfallentsorgung einen größeren Anteil am Institutsportfolio mit erhöhtem transitorischen Klimarisiko ausmachen. Auch Landwirtschaft, Bergbau und Mineralöl verarbeitende Industrie sind prozentual stärker vertreten, siehe Abbildung 2.

Abb. 2 Klimarisiken, NEWS 03-2023

Abbildung 2: Verteilung des Portfolios zweier Beispielinstitue auf die verschiedenen Branchen (zum Vergrößern Anklicken)

Beim Institut mit geringem Exposure in den Klimabranchen steigt das ökonomische Risiko gemessen am Credit Value-at-Risk und an der Risikoprämie im Stress-Szenario um 16 %, während es beim Institut mit erhöhtem Exposure in Klimabranchen um 23 % steigt, siehe Abbildung 3. Im Normal-Szenario war der Unterschied der beiden Portfolioallokationen gemessen am CVaR mit 199,83 Millionen Euro und 199,59 Millionen Euro quasi nicht erkennbar. Allerdings reagiert die Risikowirkung im Stressszenario für das Institut mit erhöhtem Klimarisiko deutlicher als das Portfolio mit geringem Klimarisiko. Beim Institut mit erhöhtem Exposure in den Klimabranchen fällt außerdem auf, dass der CVaR-Beitrag der Klimabranchen Chemie, Abwasser- und Abfallwirtschaft, Landwirtschaft, Bergbau und Mineralölwirtschaft im Normal- und im Stressszenario deutlich steigt gegenüber dem Institut mit einer Untergewichtung der Klimabranchen.

Abb. 3 Klimarisiken, NEWS 03-2023

Abbildung 3: Stressszenariorechnungen für das transitorische Bonitätsrisiko für Institute mit unterschiedlichen Branchenallokationen (zum Vergrößern Anklicken)

Im Stressszenario hat beispielweise die Klimabranche Mineralölverarbeitung und Kokerei zwar prozentual am Gesamt-CVaR von 246,22 Millionen Euro mit 2,9 Millionen Euro nur einen kleinen Anteil. Jedoch ist der CVaR-Beitrag mit 9 % bezogen auf das Gesamt-Exposure von 25 Millionen Euro der Branche als sehr hoch einzustufen. Ähnlich verhält es sich mit der Branche Bergbau.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Einfluss einer ungünstigen Portfolioallokation hinsichtlich vom Klimawandel gefährdeter Branchen im Stressszenario eine deutliche Wirkung entfaltet, die in ihrer Größenordnung durchaus an die Limits einer Risikotragfähigkeit heranreichen. Die Vorgabe der MaRisk, die ESG-Risiken in die Stressszenarien des Instituts zu integrieren, erweist sich damit als sehr sinnvolle Anforderung, um die Risikotragfähigkeit der Institute robuster zu gestalten.

Die notwendige grüne Transformation für unsere gesamte Gesellschaft soll maßgeblich durch den Finanzsektor orchestriert werden. Klimastresstesting ist dabei nicht nur eine regulatorische Anforderung, sondern hilft auch, Schwachstellen im Geschäftsmodell beziehungsweise im Kreditportfolio zu identifizieren. Die gezeigte Vorgehensweise stellt dabei einen praktischen Ansatz auf der aktuellen Datenverfügbarkeit dar. Mit steigenden Datenverfügbarkeiten werden wir die bisherigen Ansätze weiterentwickeln und Banken die Möglichkeit geben, ihre Rolle in der grünen Transformation zu finden.

Quellen
Luis Thoma

Luis Thoma

ist bei msg for banking im Bereich Non Financial Risk und Sustainable Finance tätig. Seine Schwerpunkte liegen dabei auf dem Thema operationelle Risiken sowie auf Themenstellungen rund um Sustainable Banking, wie Klimastresstests und ESG-Anforderungen.

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