ISO 20022 – Nach der Migration ist vor der Migration (NEWS 03/2023)
ISO 20022 hat eine lange und anspruchsvolle Reise hinter sich, die im März 2023 vorerst ihren Höhepunkt erreichte. TARGET2 und SWIFT haben den alten Finanznachrichtenstandard SWIFT-FIN verabschiedet und sind auf den ISO-20022-Standard migriert: Die Finanzbranche hat den beschwerlichen Weg gemeistert.
- ISO 20022 erfolgreich gestartet
- Bei SWIFT geht es weiter
- Es gibt noch Schecks?
- Die internationale Investigations- und Reklamationsverarbeitung bekommt einen neuen Anstrich
- gpi Stop & Recall war nur der Anfang
- Der SWIFT Transaction Manager
- Und wie sieht es bei SEPA aus?
- Das Thema mit der strukturierten Adresse
- (Geschäfts-)kunden sind ebenfalls betroffen
- Fazit
- Quellen und weiterführende Hinweise
ISO 20022 erfolgreich gestartet
ISO 20022 hat eine lange und anspruchsvolle Reise hinter sich, die im März 2023 vorerst ihren Höhepunkt erreichte. TARGET2 und SWIFT haben den alten Finanznachrichtenstandard SWIFT-FIN verabschiedet und sind auf den ISO-20022-Standard migriert: Die Finanzbranche hat den beschwerlichen Weg gemeistert.
Die lange Vorbereitungszeit von über sechs Jahren zahlte sich aus. Der Go-live am 20.03.2023 verlief nahezu reibungslos. Die EZB verkündete einen erfolgreichen Start von T2 nach der Migration. Ein nach kurzen Startschwierigkeiten reibungsloser erster Betriebstag mit rund 400.000 Transaktionen und einem Wert von über 2,2 Billionen EUR, die über das neue System liefen, wurde erfolgreich absolviert.1
Viele an TARGET2 angeschlossene Institute veröffentlichten ebenso positive Resümees. Gemessen an der Tragweite und Größe der Umstellung kann das Projekt kaum eine bessere Bilanz ziehen. Auch von SWIFT gab es positive Rückmeldungen zum geglückten Go-live. Die Organisation kommunizierte einen erfolgreichen Start in die Koexistenzphase und sieht sich mit der Umstellung für eine starke Zukunft gewappnet.2
Bei SWIFT geht es weiter
Aufseiten von SWIFT war der Go-live allerdings nur der Startschuss für die ISO-20022-Migration. Während bei TARGET2 die Migration mittels eines Big-Bang-Ansatzes erfolgte, wird bei SWIFT die Migration durch eine Koexistenzphase unterstützt. Während dieser Phase können Banken sowohl das alte SWIFT-FIN-Format als auch das neue Format auf Basis von ISO 20022 verwenden.
Zudem werden nicht alle Nachrichten gleichzeitig auf ISO 20022 umgestellt, sondern in jährlichen Releases. Das bedeutet, dass Jahr für Jahr weitere MT-Nachrichtentypen auf ISO 20022 migriert werden, bis alle Nachrichten des MT-Typs 1, 2 und 9 angeglichen wurden.
Im großen März-2023-Release waren deshalb die wichtigsten Zahlungsverkehrsnachrichten betroffen, um den globalen Interbanken-Zahlungsverkehr zu ermöglichen. In den kommenden Releases, die für gewöhnlich im November eines jeden Jahres stattfinden, werden sukzessive weitere Nachrichten auf den ISO-20022-Standard gehoben. Die einzige Gemeinsamkeit aller Nachrichten ist das Datum der finalen Abschaltung: der November 2025.
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die betroffenen Nachrichtentypen sowie deren Umstellungs- und Abschaffungsdatum.
Tabelle 1: Kriterien für die Einstufung von Instituten – ein Institut zählt als SNCI, wenn alle aufgeführten Kriterien erfüllt sind. Es zählt als Large Institution, wenn mindestens eines der aufgeführten Kriterien erfüllt ist
Es gibt noch Schecks?
Banken unterstützen in der Regel nicht jede einzelne MT-Nachricht. Banken, die beispielsweise Schecks drucken und diese auf andere Banken ziehen (und umgekehrt), müssen sich dieses Jahr auf eine Umstellung der Schecknachrichten (MT 110, MT 111 und MT 112) vorbereiten. Banken aus Deutschland, die den Scheckverkehr nur in Euro oder gar nicht ermöglichen, sind daher von der Umstellung dieser Nachrichten nicht betroffen.
Hin und wieder kommt es dennoch vor, dass einheimische Unternehmen Waren aus dem Ausland beziehen. Beispielsweise erfreut sich in den USA der Scheck (noch) einer höheren Beliebtheit und Akzeptanz als in Deutschland. Und so passiert es, dass deutsche Unternehmen über ihre Banken Schecks in US-Dollar drucken lassen und diese nutzen, um ihre Geschäftspartner im Ausland zu bezahlen.
Abbildung 1 zeigt einen einfachen Prozess für das Ziehen eines Schecks.
Abbildung 1: Prozessdarstellung zum Ziehen eines Schecks
Die internationale Investigations- und Reklamationsverarbeitung bekommt einen neuen Anstrich
Im Jahr 2024 hebt SWIFT eine weitere Palette an Nachrichten auf den ISO-20022-Standard. Es werden die Äquivalente für die weitverbreiteten Gebührennachrichten (MT 190 und MT 191) eingeführt, außerdem bekommt die gesamte Investigations- und Reklamationsverarbeitung (sogenannte Exceptions & Investigations) im Korrespondenzbankgeschäft einen neuen Anstrich.
Die dort eingesetzten Nachrichten können nicht durch ein bloßes Eins-zu-eins-Mapping übersetzt werden, denn ganze Prozesse und Nachrichtenflows werden verändert. Und das ist gut so! Die heutige Investigations- und Reklamationsverarbeitung im globalen Zahlungsverkehr ist in hohem Maße ineffizient, und Banken müssen dafür Ressourcen in entsprechendem Ausmaß bereitstellen.
Der Grund dafür liegt in der sehr zeitaufwendigen und kostspieligen Bearbeitung von Investigations- und Reklamationsanfragen. Einerseits erfordert die Punkt-zu-Punkt-Verarbeitung die Beteiligung jeder einzelnen Bank in der Zahlungskette, auch wenn die Bank nur als Zwischenhändler (sogenannter Intermediary) fungiert. Andererseits verhindern die Freitextfelder der dort eingesetzten MT-Nachrichten in hohem Ausmaß eine Automatisierung, was zu höheren Kosten führt.
gpi Stop & Recall war nur der Anfang
Um dem entgegenzuwirken, hat die Branche in der Vergangenheit bereits mehrere Anstrengungen unternommen. Standards wurden etabliert und Innovationen vorangetrieben. Zu den Ergebnissen gehören gpi Stop & Recall Payment (SRP) oder gpi Case Resolution, die ein Regelwerk und einen zentralen Abwicklungsprozess einführten.
Obwohl diese Lösungen gut gemeint waren, richteten sie sich auf eine begrenzte Anzahl von Anwendungs- fällen und erreichten nicht die erforderliche Reichweite, um Wirkung zu erzielen.
Angesichts der anhaltenden globalen Migration auf ISO 20022, die die Branche nun zu Investitionen zwingt, wollte die Weltgemeinschaft die einmalige Gelegenheit nicht verpassen, bestehende E&I-Probleme anzugehen. Aus diesem Grund hat die Branche zum einen beschlossen, die ineffizienten Legacy-Prozesse zu überdenken und zu überarbeiten, indem sie das Potenzial von ISO 20022 nutzt. Zum anderen möchte sie auch von den durch gpi und Transaction Manager eingeführten Möglichkeiten profitieren.
Der SWIFT Transaction Manager
Mit dem Transaction Manager verabschiedet sich SWIFT vom reinen Nachrichtenaustausch zwischen verschiedenen Finanzinstituten. Verarbeitungsfunktionen werden fortan auf einer zentralen Plattform ausgeführt, die Zahlungen auf Basis einer zentralen Kopie der Transaktionsdaten orchestriert.
Anstatt Zahlungsdaten direkt an die nächste Partei in der Kette einer grenzüberschreitenden Zahlung zu senden, tauschen Finanzinstitute die Zahlungsdaten mit der zentralen Plattform, dem Transaction Manager, aus. Obwohl das native Format des Transaction Managers ISO 20022 ist, können Banken weiterhin das MT-Format verwenden, um Zahlungsnachrichten an diesen zu senden.
Finanzinstitute, die noch nicht für die Verwendung der neuen XML-Nachrichten bereit sind, erhalten standardmäßig ISO-20022-Nachrichten mit der ein- gebetteten MT-Nachricht, sogenannte Multi-Format-Nachrichten. Letztere können zur Verarbeitung der Transaktion verwendet werden, wenn die vollständigen ISO-20022-Funktionen noch nicht implementiert sind. Der ISO-20022-Teil der Nachricht sollte dagegen zur Sanktionsfilterung und zur Unterstützung anderer regulatorischer Verpflichtungen verwendet werden, die den vollständigen Datensatz erfordern. Teilnehmenden Instituten wird es damit ermöglicht, ihre Prozesse und Systeme im eigenen Tempo auf den ISO-20022-Standard umzustellen.
Mit der Einführung einer zentralen Transaktionskopie, die während der Interbanken-Abwicklung einer Zahlung stetig aktualisiert wird, ermöglicht der Transaction Manager Abwärtskompatibilität. Empfänger bekommen den gesamten Datensatz zur Verfügung gestellt. Sollten Informationen während der Übertragung irgendwo verloren gehen (sogenannte Data Truncation), kann der SWIFT Transaction Manager sie wiederherstellen.
Und wie sieht es bei SEPA aus?
SEPA setzt seit jeher auf ISO 20022. Doch im SEPA- Zahlungsverkehr hinkt der verwendete ISO-20022-Standard – mit Ausnahme der Instant Payments – noch hinterher. Derzeit findet der SEPA-Zahlungsverkehr bei der Deutschen Bundesbank sowie bei der EBA Clearing auf Basis der von der EPC definierten Version von 2009 statt.
Demnach erfolgt dieses Jahr die Migration aller SEPA- Schemata (SCT, SCT Inst, SDD Core, SDD B2B) auf die Version 2019 des ISO-20022-Standards. Die Vielzahl an Nachrichten, die auf die neue Version migriert werden müssen, erfordert Investitionen in Businessanalyse,
IT-Umsetzung und Testing. Gerade im Zahlungsverkehr, der reibungslos funktionieren muss, können un- entdeckte Fehler zu großen Schäden führen. Aus diesem Grund ist die Migration von enormer Bedeutung und ein umfassendes Testing umso wichtiger.
Das Thema mit der strukturierten Adresse
Mit Inbetriebnahme der 2019-Versionen sind Banken gezwungen, die Adressen der Auftraggeberinnen und -geber sowie Empfängerinnen und Empfänger einer Zahlung strukturiert an das (SEPA-)Clearing-System zu übermitteln. Dabei handelt es sich um die Verwendung eines standardisierten Formats zur Darstellung von Adressdaten.
Bei der strukturierten Adresse werden die verschiedenen Elemente einer Adresse in klar definierten Feldern angegeben, wodurch eine einheitliche und eindeutige Darstellung gewährleistet wird.
Der Wechsel von unstrukturierten zu strukturierten Adressen erfordert nicht selten eine Anpassung der internen Systeme und Prozesse der Banken. Dies kann zeitaufwendig und kostspielig sein, insbesondere dann, wenn die bestehenden Systeme – wie beispiels- weise das zuliefernde Stammdatensystem – nicht direkt mit strukturierten Adressen kompatibel sind.
Infolgedessen sehen sich Banken gezwungen, ein Update durchzuführen und nachgelagerte Datenqualitätsmaßnahmen in den Quellsystemen zu implementieren, um die Grundvoraussetzungen für die strukturierte Adresse zu schaffen. Angesichts der Vielzahl von Adressen (zum Beispiel deutsche, französische, englische etc.) und ihrer verschiedenen Ausprägungen stellt dies eine gewaltige Herausforderung für die gesamte Community dar.
(Geschäfts-)kunden sind ebenfalls betroffen
Da im Zahlungsverkehr alles miteinander verbunden ist, ist es keine Überraschung, dass nicht nur im Interbanken-Bereich auf die 2019-Version migriert wird, sondern auch an der Kunden-Bank-Schnittstelle. Gemäß der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) wird dieses Jahr auch für die Einreichung von Zahlungsaufträgen (SEPA und taggleiche Eilüberweisungen) auf die 2019-Version migriert. Somit sind nicht nur die Banken gezwungen, Themen wie die strukturierte Adresse umzusetzen, sondern auch die Bankkundeninnen und -kunden.
Abbildung 2: Gegenüberstellung der unstrukturierten und strukturierten Adresse bei ISO 20022
Fazit
Wer dachte, er könne sich nach dem Go-live von T2 und SWIFT ausruhen, liegt falsch. Der Interbanken-Zahlungsverkehr befindet sich in einem stetigen Wandel.
ISO 20022 entwickelt sich kontinuierlich weiter. Das ermöglicht eine bessere Anpassung an die sich verändernden Bedürfnisse und Herausforderungen des globalen Zahlungsverkehrs, fördert Innovation und unterstützt die Harmonisierung und Interoperabilität in der Finanzbranche.
Festzuhalten ist: ISO 20022 ist kein kurzer Hype, sondern gekommen, um zu bleiben. Aufseiten der EZB schaut man positiv in die Zukunft. Der Big Bang ist geschafft, die TARGET-Services laufen positiv.
Doch der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr darf nicht aus den Augen verloren werden. SWIFT unterstützt die teilnehmenden Institute zwar in vielen Belangen. Doch die Deadline – November 2025 – steht, und die MT-Nachrichten werden verschwinden. Es gilt also, am Ball zu bleiben, und es ist allerhöchste Zeit, die Vorbereitungen zur vollständigen Umstellung anzugehen und voranzutreiben.
Quellen und weiterführende Hinweise
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1. EZB meldet geglückten Start von Zahlungssystem T2, Finanzbusiness, 21.03.23
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2. ISO 20022 coexistence begins, opening new possibilities for cross-border payments, Swift, 20 March 2023
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3. Betrifft den Anwendungsfall für Central Counterparty (CCP) margin payments.
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4. Betrifft den Anwendungsfall für die Stornierung von Avisen.
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5. Spezifikation der Datenformate, EBICS




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