MaRisk-Neufassung: Überblick und eine erste Einordnung für die Bankenpraxis (NEWS 02/2023)
Die 7. Novelle der MaRisk setzt insbesondere die Anforderungen der EBA/GL/2020/06 und damit zahlreiche Ergänzungen zur Ausgestaltung der Kreditprozesse sowie die Berücksichtigung der ESG-Faktoren um. Außerdem werden die Anforderungen ans Pricing von Krediten erheblich ausgeweitet.
- Überblick und Hintergrund
- EBA/GL/2020/06 und Kreditprozesse
- Prüfung der Kreditwürdigkeit von Kleinst- und Kleinunternehmen
- Anforderungen an Modelle
- EBA/GL/2020/06 und ESG-Risiken
- Immobiliengeschäft
- Geschäftsmodellanalyse
- Handel im Homeoffice
- Übergangsfristen
- Fazit
- Quellen und weiterführende Hinweise
Überblick und Hintergrund
Die 7. MaRisk-Novelle übernimmt insbesondere die Anforderungen der EBA Guidelines on loan origination and monitoring (EBA/GL/2020/06) und damit zahlreiche Ergänzungen zur Ausgestaltung der Kreditprozesse sowie die Berücksichtigung der ESG-Faktoren. Das BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken wird erheblich aufgewertet, denn zentrale Aussagen darin sind nunmehr prüfungsrelevant. Bislang diente das Merkblatt in erster Linie als Orientierungsmaßstab mit einer Zusammenstellung von Good-Practice-Ansätzen. Auch diese Novelle greift Erkenntnisse aus der Aufsichts- und Prüfungspraxis auf, namentlich sind die Regelungen zur Handhabung des Immobiliengeschäfts, (coronabedingt) die Durchführung von Handelsgeschäften im Homeoffice sowie spezielle Regelungen für sehr große Förderbanken zu nennen.
Flankiert wurde die Verabschiedung der 7. Novelle von einem Interview mit Raimund Röseler, Exekutivdirektor Bankenaufsicht der BaFin1, der sich hierzu unter anderem wie folgt äußerte:
In den vergangenen Monaten verdichten sich aber auch die Anzeichen für einen Anstieg der Kreditrisiken aufgrund des konjunkturellen Abschwungs. (…) Wie können Banken Kreditausfallrisiken möglichst frühzeitig identifizieren und zumindest adäquat einpreisen? Die MaRisk-Novelle macht dazu klare Vorgaben, etwa bei der Kreditüberwachung und – falls erforderlich – der Neubewertung der Sicherheiten und der Kreditqualität.“
Raimund Röseler Exekutivdirektor Bankenaufsicht der BaFin
Neu wurden Vorgaben für die Immobilien der Institute aufgenommen. Daraus sollten Profitabilitätssteigerungen im nunmehr überstandenen Niedrigzinsumfeld resultieren. Dies ist aus Sicht der BaFin unmittelbar nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Aber: „Uns geht es jetzt darum, dass die Banken die Risiken im Griff haben, wenn sich das Blatt wendet.“
Wie der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) in seinem aktuellen 10. Bericht2 (Berichtszeitraum 01.04.2022 bis 31.03.2023) erläutert, ist die Nachfrage nach Immobilienkrediten eingebrochen. Gründe hierfür sind gesunkene Realeinkommen, gestiegene Zinsen und Baukosten bei gleichzeitig unsicherer Wirtschaftsentwicklung. In Kombination mit den drastischen Preisrückgängen bei Wohn- und Gewerbeimmobilien kommt der AFS zu der Schlussfolgerung, dass die Verwundbarkeiten im Immobilienkreditbestand deutscher Banken unverändert hoch sind.
Die Erweiterung der Vorschriften zur Kreditvergabe und -überwachung kommt insofern zur rechten Zeit. Dies gilt in ähnlicher Weise für die Berücksichtigung der ESG-Risiken. Die BaFin hat ergänzend zu den MaRisk-Regelungen ihre Sustainable-Finance-Strategie3 am 05.07.2023 vorlegt. Ohne an dieser Stelle auf Details eingehen zu können (mehr dazu im Beitrag: Sustainable-Finance-Strategie der BaFin) , werden hier markante Inhalte zusammengefasst:
- Nachhaltigkeit ist – wie auch in der EBA/GL/2020/06 und den MaRisk – umfassend im Sinne von Environ- mental-, Social- und Governance-, (ESG-)Aspekten zu verstehen, wenngleich sich der aktuelle Fokus der BaFin-Aufsicht (Gleiches gilt für die EZB-Aufsicht) auf „Environmental“, speziell auf den Klimawandel, richtet.
- ESG-Risiken sind keine eigene Risikoart, sondern wirken auf die klassischen Risiken. Schon deshalb sind ESG-Risiken Bestandteil der BaFin-Aufsicht über die Finanzinstitute.
- Die BaFin selbst kann und darf keine eigenen umwelt-, sozial- oder wirtschaftspolitischen Ziele entwickeln oder Einfluss auf die Finanzströme nehmen – im Unterschied zur Politik.
- Die BaFin beaufsichtigt die Umsetzung der ESG- Transparenzpflichten durch Unternehmen und bei Finanzprodukten. Die Verpflichtungen selbst wer- den vom Gesetzgeber erstellt.
- Ein kritischer Punkt bei der Steuerung finanzieller Klimarisiken ist die Datenverfügbarkeit. Die beaufsichtigten Institute benötigen bei der Beurteilung der Konsequenzen von Transitions- und physischen Risiken auf die bankeigene Bilanz beziehungsweise ihre Finanzinstrumente verlässliche Daten ihrer Firmenkunden. Ausschlaggebend sind folglich die künftigen Offenlegungsanforderungen nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) beziehungsweise den konkretisierenden European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Hierzu passt das ebenfalls am 05.07.2023 erschienene, an das IDW gerichtete BaFin-Schreiben zur Prüfung der Einhaltung der EU-Offenlegungsverordnung4. Die BaFin hatte bereits für die Prüfung der Einhaltung der Anforderungen der EU-Offenlegungsverordnung Prüfungsziele, gebunden an das Risikopotenzial für Greenwashing, vorgegeben. Diese Vorgaben wurden nun erweitert. So ist bezüglich Art. 13 EU-Offenlegungsverordnung nicht nur das vollständige Vorhandensein der Informationen und deren Plausibilität zu prüfen, sondern es sind zumindest Systemprüfungen mit Funktionstests und nach pflichtgemäßem Ermessen Stichproben vorzunehmen.
Die (beispielhaften) aktuellen Ergänzungen belegen, dass die MaRisk-Neufassung auch in den übergeordneten Kontext eingeordnet werden sollte.
EBA/GL/2020/06 und Kreditprozesse
Formal merkt die BaFin hierzu in ihrem Anschreiben an die Verbände an, dass „sollen“ in den EBA-Leitlinien (nachfolgend kurz GL) als verbindliche Anforderung zu verstehen und daraus kein Wahlrecht abzuleiten ist.
An anderer Stelle sind indessen die Begrifflichkeiten wie auch in der EBA GL schwammig gewählt – Interpretationsfragen werden sich zwangsläufig stellen.
Abschnitt 4 der GL befasst sich mit Themen wie dem Management der Kreditrisiken, der Strategie, dem Risikoappetit, der Risikokultur und der Limitierung, jeweils bezogen auf das Kreditrisiko und die Kreditentscheidungsprozesse – Sachverhalte, die weitgehend schon bisher in den MaRisk geregelt waren.
Hinzuweisen ist auf die Anforderungen an die Objektivität und Unvoreingenommenheit bei Kreditentscheidungen (Abschnitt 4.4.1 GL). Sogenannte Golfplatzgeschäfte sollen damit beispielsweise erfasst werden.
Abschnitt 5 der GL bezieht sich auf die Prozesse der Kreditvergabe einschließlich der Auskünfte, Unterlagen und Daten für die Kreditwürdigkeitsprüfung der Kreditnehmer. Bei verschiedenen Kreditarten sind Szenarioanalysen über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung zu erstellen. Hierzu zählen nach Tz. 158 GL bei Krediten an mittlere und große Unternehmen einerseits kreditbezogene Ereignisse (zum Beispiel starker Rückgang des Umsatzes oder der Margen des Kreditnehmers; ernste, aber plausible Verluste aus dem operativen Geschäft; Managementprobleme; Ausfall wichtiger Handelspartner, Kunden oder Lieferanten; stark steigende Beschaffungskosten oder gesunkene Absatzpreise) und andererseits marktbezogene Ereignisse, wie ein starker Konjunkturabschwung, geopolitische Risiken oder ein erheblicher Anstieg der Finanzierungskosten (z. B. eine Erhöhung des Fremdfinanzierungszinssatzes um 200 Basispunkte beim Kreditnehmer).
Diese Anforderungen sind neu aus Sicht der bisherigen MaRisk, ebenso wie die Verbraucherschutzaspekte, die ebenfalls aufgenommen wurden.
An dieser Stelle sollen die Anforderungen an Kreditentscheidungen und -prozesse näher beleuchtet werden.5
Umfangreiche Erweiterungen finden sich hier in den Vorschriften BTO 1.1 Tz. 6 (Kreditentscheidungen) und BTO 1.2. (Anforderungen an die Prozesse), die hier jedoch nicht alle betrachtet werden können. Wie erwähnt, stechen hier die Objektivität und Unvoreingenommenheit bei Kreditentscheidungen und die Betonung der Verbraucherschutzaspekte hervor. Namentlich bei der verantwortungsvollen Kreditvergabe gilt:
- faire Behandlung jedes Kreditnehmers in wirtschaftlichen Schwierigkeiten;
- die Kreditvergabekriterien dürfen die Kreditnehmer und deren Haushalte nicht übermäßig belasten oder überfordern.
Beide Anforderungen mag man als selbstverständlich empfinden, gleichwohl sind sie kaum operationalisierbar.
Inhaltlich wird insbesondere die Prüfung der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers aus der GL per Verweis übernommen. Es sind nach BTO 1.2.1 Tz. 1 die Abschnitte 5.2.1 bis 5.2.11 der GL anzuwenden. Hier greift allerdings die Proportionalitätsklausel, das heißt, im nicht-risikorelevanten Kreditgeschäft sind Erleichterungen möglich, wenn eine angemessene Risikobeurteilung und die Einhaltung verbraucherschutzrechtlicher Vorgaben gewährleistet wird. Zum Beispiel kann bei unbesicherten Verbraucherkrediten und Krediten an Kleinst- und Kleinunternehmen von Sensitivitätsanalysen für potenziell negative Ereignisse entsprechend Tz. 117 und Tz. 131 der GL abgesehen werden, soweit ein Institut dieses Geschäft als nicht- risikorelevant einstuft.
Im Grundsatz aber legt die GL fest:
Bei der Kreditvergabe an Verbraucher (5.2.1) ist das Institut verpflichtet, zu prüfen, inwieweit der Kreditnehmer fähig ist und auch künftig in der Lage sein wird, den Kapitaldienst zu leisten. Bei besicherten Darlehen darf die Kreditwürdigkeit nicht allein an die Sicherheit als Kriterium für die Genehmigung eines Darlehens geknüpft werden.
Sicherheiten dürfen nicht als primäre Rückzahlungsquelle angesehen werden (Tz. 97 GL). Kriterien zur Beurteilung der gegenwärtigen und zukünftigen Rückzahlungsfähigkeit sind sonstige Schulden und Kredite, die Restlaufzeit, die Zinssatzhöhe und vor allem das Rückzahlungsverhalten. Spezielle Regelungen greifen für Ausleihungen an Verbraucher im Kontext von Wohnimmobilien (5.2.2 GL).
Sofern die Kreditlaufzeit in die voraussichtliche Rentenzeit des Kreditnehmers hineinreicht, ist zu prüfen, ob der Kreditnehmer auch im Ruhestand bei dann regelmäßig vermindertem Einkommen den Kapitaldienst noch leisten kann.
Hervorzuheben ist die nun auch in den MaRisk verankerte Anforderung, Sensitivitätsanalysen durchzuführen (Tz. 107 GL). Relevant sind hier für den Kreditnehmer negative Zukunftsszenarien, zum Beispiel die Reduktion des Einkommens, ein Zinsanstieg bei Darlehensprolongation, oder die Problematik hoher Rückzahlungsbeträge im Falle von Ballonkrediten beziehungsweise endfälligen Krediten.
Bei Immobilien im Bau (vgl. Tz. 111 GL) müssen die Kreditnehmer Pläne für das Bauprojekt sowie Baugenehmigungen vorlegen beziehungsweise in der Zukunft beschaffen können. Sofern die Immobilie vermietet wird, soll sich das Institut einen Einblick verschaffen bezüglich der Relationen der künftigen Mieteinnahmen in Relation zum Kapitaldienst. Mit anderen Worten sollte sich das Institut darüber klar werden, dass möglicherweise der Kapitaldienst ausschließlich oder in einem hohen Ausmaß von den künftigen Mieterträgen abhängig ist.
Dies führt zu einem erhöhten Ausfallrisiko, falls der Mieter seinerseits in Zahlungsschwierigkeiten kommt. Auch hier sind Sensitivitätsanalysen notwendig, zum Beispiel eine Verschlechterung des Marktwerts der Immobilie, mögliche Leerstände oder auch ein Mietpreisverfall.
Prüfung der Kreditwürdigkeit von Kleinst- und Kleinunternehmen
Hier hebt Tz. 119 GL hervor, dass naturgemäß der Cashflow aus der laufenden Geschäftstätigkeit als ausschlaggebend anzusehen ist. Die Kreditwürdigkeitsprüfung richtet sich insbesondere auf die folgenden Punkte:
- a) die Finanzlage, b) das Geschäftsmodell und die Geschäftsstrategie sowie c) das bankinterne Rating des Kreditnehmers und d) die weiteren finanziellen Verpflichtungen des Kreditnehmers.
Explizit wird unter Ziffer 127 festgehalten, dass die Institute berücksichtigen müssen, inwieweit der Kreditnehmer klima- beziehungsweise umweltbezogenen Risiken ausgesetzt ist.
Beim mittleren und großen Unternehmen stellt sich die Kreditwürdigkeitsprüfung analog dar. Ziffer 146 fordert die Einbeziehung der von den ESG-Faktoren hervorgerufenen Risiken des Kreditnehmers in die Kreditvergabeentscheidung.
Abschnitt 6 der GL erstreckt sich auf das Pricing von Krediten. Die aufsichtlichen Erwartungen an die risikobasierte Preisgestaltung von Krediten erstreckten sich bisher in BTO 1.2 Tz. 9 MaRisk nur auf die Kreditrisikoprämie. Jetzt hat das Pricing den Risikoappetit, die Geschäftsstrategie sowie die Darlehens- und Kreditnehmerart zu berücksichtigen und alle relevanten Kosten abzuwägen. Die in Tz. 199 der GL erwähnte Preisbildungsausschuss wird indessen in den MaRisk nicht gefordert.
Im Konsultationsentwurf wurde noch auf die Textziffer 202 der Leitlinien verweisen. Die Endfassung benennt diese Kostenarten explizit und textlich verkürzt gegenüber der Leitlinie. Hier ergeben sich im Detail Interpretationsfragen. Geschuldet ist dies sicher auch den im Konsultationsprozess eingebrachten Bedenken der Kreditwirtschaft, die sich gegen die Verweistechnik bei der Umsetzung der Leitlinien ausgesprochen hatte.
Als relevant für die Preispolitik gelten insbesondere Kapitalkosten, Refinanzierungskosten (entsprechend den Merkmalen des Darlehens einschließlich Annahmen zum Kundenverhalten), Betriebs- und Verwaltungskosten, Kreditrisikokosten (entsprechend der Einstufung im Risikoklassifizierungsverfahren), sonstige Kosten (gegebenenfalls einschließlich steuerlicher Erwägungen) sowie die Wettbewerbs- und Marktbedingungen. Diese hier angesprochenen Kostenarten und Einflussfaktoren sind seit jeher der Nettomargenkalkulation von Banken zuzurechnen.
Offen bleibt indessen, wie verbindlich die Formulierung „abwägen“ zu interpretieren ist: Können die aufgelisteten Bestandteile der Nettomarge gegebenenfalls vernachlässigt werden oder geht es darum, „wie und nicht, ob“ diese Kosten einzubeziehen sind? Hier vertritt der Autor dieses Beitrags die Ansicht, dass die Erweiterung der relevanten Kosten analog zur bisherigen Handhabung der Kreditrisikoprämie (Expected Loss) zu verstehen ist. Im Grundsatz sind daher die genannten Nettomargenbestandteile zu berücksichtigen, jedoch sind geschäftspolitische Überlegungen im Einzelfall nicht zu beanstanden, wenn etwa ein neuer Kreditnehmer nur über Preiszugeständnisse gewonnen werden kann.
Die risikoadjustierten Leistungsindikatoren wurden Tz. 203 der GL entnommen, wobei auf die banküblichen englischen Bezeichnungen verzichtet wurde: zum Beispiel Geschäftswertbeitrag6, Rendite des risikoadjustierten Eigenkapitals, risikoadjustierte Kapitalrendite, Ertrag auf die risikogewichteten Aktiva, Gesamtkapitalrentabilität.
Komplett in den MaRisk ausgeklammert wurde Tz. 205 der GL, die erstens eine Vor- und Nachkalkulation und zweitens eine interne Berichterstattung nicht kostendeckender Geschäfte (below costs) vorsieht. Die erste Anforderung kann man durchaus als praxisübliche Anforderung an die Kalkulation im Rahmen der Gesamtbanksteuerung ansehen. Und die zweite als verständliche Anregung, um die Konsequenzen üppiger Sonderkonditionen transparent zu machen. Offensichtlich sollen beide Aspekte nicht explizit in den MaRisk gefordert werden.
Ohne an dieser Stelle Details zu vertiefen, sollen hier Einzelfragen kurz thematisiert werden:
Eigenkapitalkosten
- Die MaRisk sind hier unpräzise, da die GL sowohl die ökonomische als auch die aufsichtsrechtliche Sicht fordert. Dabei gilt nach hier vertretener Ansicht nicht eine additive Sicht, sondern das Maximumprinzip.
- In der Praxis führen die aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen bei immer mehr Instituten zu einer Engpasssituation, der im Pricing Rechnung getragen werden soll. Auf diesen Themenkomplex wird in einem separaten Beitrag in der NEWS 02/20237
Refinanzierungskosten (entsprechend den Merkmalen des Darlehens einschließlich Annahmen zum Kundenverhalten)
- Implizite (vertragliche oder gesetzliche) Optionen bedingen häufig ein Abweichen der tatsächlichen Vertragslaufzeit von der vereinbarten Vertragslaufzeit. Entsprechend sind Optionsprämien bei finanzmathematisch rationaler Ausübung zu rechnen beziehungsweise bei statistischer Ausübung sollte der Expected Cashflow ermittelt und kalkuliert werden. Dies hat dann auch Konsequenzen für das Risikomanagement, das die erwarteten Cashflows zu steuern hat.8
Betriebs- und Verwaltungskosten
Die Kostenverteilung setzt nach Tz. 204 einen Kostenverteilungsschlüssel voraus, der nicht als willkürlich empfunden wird. Diese Tz. wurde nicht in die MaRisk übernommen. Angesichts der Kostenstruktur der Institute geht es im Kern um die Schlüsselung von fixen Gemeinkosten. In Bankbetrieben liegen nahezu ausschließlich fixe Gemeinkosten vor. Das bedeutet, es ist eine möglichst plausible Kostenschlüsselung durchzuführen. Bezogen auf sogenannte repetitive, also wiederkehrende und standardisierbare Tätigkeiten bietet die Prozesskostenrechnung einen allgemein anerkannten Lösungsansatz „Schlüsselung per Stoppuhr“.
Diese Kostenverteilung darf allerdings nicht zu der Fehlinterpretation verleiten, dass die einzelgeschäftsbezogenen Prozess-/Standardkosten mit variablen Kosten gleichgesetzt werden: Entfiele eine der kalkulierten Leitungen, so führte dies zu keiner Kosteneinsparung in Höhe der zugerechneten Prozesskosten.
Steuerliche Erwägungen
Diese wurden bislang in der Praxis der Margenkalkulation nicht durchgeführt. Insofern sollten Kalkulationsinstrumente perspektivisch zwischen Margen vor und nach Steuern unterscheiden.
Anforderungen an Modelle
Eine (schon im Entwurf enthaltene) Innovation stellt das neue Modul in AT 4.3.5 dar. Hintergrund sind zwar die Abschnitte 4.3.3 und 4.3.4 der GL zur technologiegestützten und gegebenenfalls automatisierten Kreditvergabe und Kreditwürdigkeitsprüfung. Das neue MaRisk-Modul erstreckt sich jedoch davon abweichend übergreifend auf alle im Risikomanagement eingesetzten Modelle und regelt die Anwendung, Datenqualität, Validierung und Erklärbarkeit von Modellen in der bankaufsichtlichen Säule II. Deshalb ist es im AT und nicht in den BTO angesiedelt.
Beispielhaft als von der Regelung erfasst nennt die BaFin unter anderem Risikoklassifizierungsverfahren, die Risikoquantifizierung im Rahmen der Risikotragfähigkeit, Stresstests und Bewertungs- sowie Preisbildungsmodelle. Auch Modelle, die künstliche Intelligenz einsetzen, werden erfasst. Die IRBA-Modelle der Säule 1 hingegen werden hingegen hier ausgenommen, da ohnehin eine aufsichtsrechtliche Zulassung benötigt wird.
Ein wichtiges Thema wird im Aufzeigen von Grenzen und Beschränkungen in den Modellen sowie der Durchführung von Validierungen und Auswirkungen von Rekalibrierungen zu sehen sein. Dies betrifft insbesondere die Durchführung von regelmäßigen Validierungen aller Modelle inklusive der Modellbestandteile.
EBA/GL/2020/06 und ESG-Risiken
Breiten Raum nimmt nunmehr infolge der GL-Vorgaben die Berücksichtigung von ESG-Risiken in den MaRisk ein. Die Institute müssen ihre Prozesse modifizieren und an die ESG-Risiken angepasste Mess-, Steuerungs- und Risikominderungsinstrumente entwickeln. Die Aufsicht befürchtet nicht zu Unrecht, dass physische Risiken und Transitionsrisiken auch sehr kurzfristig schlagend werden könnten.
Wie eingangs erwähnt erfährt das BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken eine erhebliche Aufwertung, da zentrale Aussagen darin nun- mehr prüfungsrelevant sind, indem die Leitplanken des Merkblatts in die MaRisk-Novelle eingearbeitet wurden. Zugleich wurden die Vorschriften der GL zu ESG-Risiken umgesetzt.
Der Erläuterung zu AT 2.2. Tz. 1 ist zu entnehmen, dass erstens ESG-Risiken insgesamt adressiert werden, also nicht nur der Bereich Umwelt (E) und diese zweitens nicht eine eigenständige Risikoart darstellen, sondern als Risikotreiber auf die klassischen Risikoarten (Adressenausfallrisiken, Marktpreisrisiken, Liquiditätsrisiken und operationelle Risiken) sowie weitere wesentliche Risikoarten einwirken. Offen bleibt bei Letzteren, welche konkret gemeint sind.
Nach Tz. 56 GL sind ESG-Faktoren und damit verbundene Risiken in den Kreditrisikoappetit und das Kreditrisikomanagement sowie in die Kreditrisikostrategien aufzunehmen (vgl. AT 4.2. Tz. 2). Weitere Details werden in der Folgeausgabe der NEWS vorgestellt.
Erwartungshaltung der Aufsicht zu ESG
- Umgang mit ESG-Risiken im Risikomanagement muss dem Geschäftsmodell und Risikoprofil des Instituts angemessen sein
- Anpassung vorhandener Prozesse im Risikomanagement um neue Mess-, Steuerungs- und Risikominderungsinstrumente
- Bemerkenswert ist die explizite Aufforderung, die Auswirkungen von ESG-Risiken in den Kreditratingsystemen zu berücksichtigen. Solange dies noch nicht umsetzbar ist, können auch Ergebnisse des ESG-Ratings in die Bewertung der Bonität und die Kreditwürdigkeitsprüfung einfließen. Hier steht die Praxis, was die Anpassung in Kreditratingsystemen anbetrifft, erst am Anfang. Naheliegenderweise werden Anpassungen in erster Linie im qualitativen Teil vorgenommen werden.9
- Für Szenarien im Sinne von AT 2.2 Tz. 1 sollten anerkannte Szenarien, zum Beispiel des „Central Banks and Supervisors Network for Greening the Financial System“ (NGFS), der EZB oder des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung genutzt werden. Der Analysezeitraum muss angemessen lang sein. Entsprechend dem Proportionalitätsprinzip können die LSI-Institute Vereinfachungen in Abhängigkeit da- von, wie sie von ESG-Risiken betroffen sind, geltend machen. Denkbar sind weniger und einfachere Szenarien, um die Folgewirkungen leichter abschätzen zu können.
Immobiliengeschäft
Neu sind die umfangreichen Anforderungen an das Immobiliengeschäft, für das analog zum Kreditgeschäft aufbau- und ablauforganisatorische Mindestanforderungen einzurichten sind (BTO 3). Erfasst werden Immobiliengeschäfte auf eigene Rechnung eines Instituts, wenn der Wert des Immobilienvermögens weder 2 % der Bilanzsumme noch 30 Mio. Euro übersteigt.
Im Entwurf war die Euro-Grenze noch bei 10 Mio. Euro vorgesehen.
Inhaltlich wird analog zum Kreditgeschäft vorgegangen. So findet sich in BTO 3.1. Tz. 1 die bekannte Unterscheidung in Markt und Marktfolge (Funktionstrennungsprinzip) sowie in Tz. 2 das 2-Votenprinzip, das in vereinfachter Form umgesetzt werden kann.
Geschäftsmodellanalyse
In AT 4.2 MaRisk wurden Anforderungen an die Geschäftsmodellanalyse aufgenommen, wobei das Thema bereits im Zuge des SREP seit 2014 aufsichts- rechtlich erfasst wird. Die Institute müssen – wie schon bisher – prüfen, ob ihr Geschäftsmodell über einen angemessen langen, mehrjährigen Zeitraum (drei bis fünf Jahre) Bestand haben wird oder Anpassungsbedarf abzuleiten ist. Die Aufsicht erwartet, dass die Geschäfts- und Kapitalplanung Bestandteil einer integrierten Gesamtbanksteuerung sind und nicht separat als „Rechenwerke für die Aufsicht“ aufgebaut werden. Neue Anforderungen ergeben sich demnach hier nicht.
Handel im Homeoffice
Coronabedingt galt es, Anforderungen an den Handel im Homeoffice zu formulieren und hierfür eine dauerhafte Regelung zu treffen.
Ein weiterer Regelungsbereich betrifft bedeutende Förderbanken, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann.
Übergangsfristen
Wie schon bisher trat die Neufassung mit ihrer Veröffentlichung am 29.06.2023 in Kraft. Klarstellungen, mit denen definitionsgemäß keine neuen Regelungsinhalte verbunden sind, sind demnach schon jetzt anzuwenden, wie zum Beispiel die Anforderungen an die Geschäftsmodellanalyse. Neue Anforderungen sind hingegen erst ab dem 01.01.2024 einzuhalten (Übergangsfrist für die Implementierung der Änderungen), wie zum Beispiel die neuen Anforderungen an das Immobiliengeschäft.
Etwas schwieriger gestaltet sich die Abgrenzung bei den ESG-Risiken. Schon jetzt müssen die Institute die ESG-Risiken in die Gesamtrisikobeurteilung einfließen lassen. Bestimmte Regelungen sind zwar nicht neu, denn sie waren schon im BaFin-Merkblatt adressiert, aber dennoch gewährt die BaFin eine Umsetzungsfrist beispielsweise bei der Risikoquantifizierung für den ICAAP und das Stresstesting. Bei den Stresstests bezogen auf ESG- beziehungsweise Klimarisiken ist ein langfristiger Zeithorizont von 30 Jahren zu verwenden, der den banküblichen Risikobetrachtungszeitraum übersteigt. Auch die Berechnungsprogramme sind daraufhin zu ertüchtigen. Erfreulich transparent ist die Auflistung der als Neuerungen eingestuften Regelungen zu den ESG-Risiken, die bis 1.1.2024 umzusetzen sind (AT 2.2 Tz. 1 Erl., AT 4.1 Tz. 1 u. 2 Erl., AT 4.3.3 Tz. 1, AT 4.5 Tz. 5, BTO 1.2 Tz. 4, BT 3.1. Tz. 1, BT 3.2 Tz. 1 Erl.).
Fazit
Insgesamt ergeben sich keine gravierenden Änderungen gegenüber der Konsultationsphase, jedoch ist die Novelle sehr umfangreich ausgefallen. Dies zeigt sich auch an dem sehr langen Anschreiben zu der Neufassung, die sich an die Verbände der Kreditwirtschaft richtet und mit zahlreichen weiterführenden Erklärungen und Interpretationen verbunden ist. In Folgebeiträgen werden in der nächsten Ausgabe der NEWS einzelne Themenblöcke, wie die Behandlung der ESG-Risiken, herausgegriffen.
Quellen und weiterführende Hinweise
-
1. BaFin-Fachartikel – Raimund Röseler zu MaRisk: „Risikoorientiert und proportional“
-
2. Ausschuss für Finanzstabilität, Zehnter AFS-Bericht zur Finanzstabilität an den Bundestag – Makrofinanzielles Umfeld und hohe Verwundbarkeiten erfordern hohe Widerstandsfähigkeit, 27.06.2023
-
3. BaFin – Sustainable-Finance-Strategie der BaFin
-
4. BaFin-Schreiben an IDW zur Prüfung der Einhaltung der EU-Offenlegungsverordnung
-
5. Zu weiteren Details vgl. Wimmer, Bankkalkulation und Risikomanagement, 4. Aufl. Berlin 2023, S. 57–59 und S. 211–299 sowie EBA Guidelines on loan origination and monitoring (EBA/GL/2020/06), S. 34–39, NEWS 01/2021
-
6. Inhaltlich handelt es sich um die Nettomarge beziehungsweise den Nettomargenbarwert, wie er bereits mit banküblicher Kalkulationssoftware berechnet wird (vgl. MARZIPAN)
-
7. Vgl. Wimmer, Eigenkapitalkosten und Eigenkapitalrendite. Wie kalkulieren bei aufsichtsrechtlichem Engpass?, NEWS 02/2023
-
8. Vgl. hierzu die Artikelserie in den NEWS-Ausgaben 01/2022 bis 03/2022
Related Collections

MaRisk
Die MaRisk machen transparent, was die BaFin in Sachen Risikomanagement von den Kreditinstituten erwartet. Seit Veröffentlichung der ersten Fassung der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) Ende 2005 haben aktuelle Entwicklungen und internationale Regulierungsinitiativen dazu geführt, dass die MaRisk mehrfach überarbeitet wurde. Die 7. Novelle wurde am 29.06.2023 veröffentlicht. Ein Jahr später, am 29.05.2024, folgte bereits die 8. Novelle der MaRisk.

Finance, Risk, Regulatory Reporting & Compliance
Die Finanzwelt der Zukunft erfordert smarte, digitale Lösungen. Die komplexen branchenspezifischen, betriebswirtschaftlichen sowie regulatorischen Anforderungen beschleunigen die Entwicklung bei den Finanzinstituten, eine Konsistenz zwischen Meldewesen, Risikomanagement und Compliance sicherzustellen. Eine Trennung dieser Themen wird es in Zukunft nicht mehr geben. Vielmehr werden sie Aspekte einer integrierten Banksteuerung sein. Daher sind für die Steuerung einer Bank zukünftig integrierte, vernetzte Lösungen und moderne Services in der Cloud, die sowohl die Komplexität jedes Einzelthemas als auch die Konsistenz zwischen den Themen abbilden, essenziell. In unserer Serie "Finance, Risk, Regulatory Reporting & Compliance" stellen wir die aktuellen Entwicklungen vor.



Sie müssen sich anmelden, um einen Kommentar zu schreiben.